Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenvertretung. Wahlanfechtung. Wahlgeheimnis. Wahlumschläge. erfolgreiche Anfechtung der Wahl der Schwerbehindertenvertretung wegen Verletzung des Wahlgeheimnisses. Anfechtung der Wahl der Schwerbehindertenvertretung wegen Verletzung des Wahlgeheimnisses
Leitsatz (redaktionell)
1. Die in § 20 Abs. 3 SchwbWO zwingend vorgesehene Stimmabgabe durch die Abgabe von Stimmzetteln in den hierfür bestimmten Umschlägen (Wahlumschlägen) dient der Wahrung des elementaren Grundsatzes, dass Wahlen geheim durchzuführen sind.
2. a) Die Ausgestaltung der Wahlanfechtungsvorschrift des § 19 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz BetrVG nimmt Rücksicht darauf, dass in einer Vielzahl an Fällen die Beeinflussung durch einen Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften nicht positiv festgestellt werden kann, sich aber dennoch latent auf das Wahlverhalten auswirkt.
b) Deshalb muss eine verfahrensfehlerhafte Wahl der Schwerbehindertenvertretung nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung entsprechender Vorschriften zum Wahlverfahren kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre; kann diese Feststellung nicht getroffen werden, bleibt es bei der Unwirksamkeit der Wahl.
Normenkette
SGB IX § 94 Abs. 6; BetrVG § 19; SchwbWO § 20 Abs. 3; BetrVG § 19 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 26.05.2011; Aktenzeichen 19 BV 800/10) |
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 7) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 26. Mai 2011 - 19 BV 800/10 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit einer Wahl zur Schwerbehindertenvertretung.
Am 17. Nov. 2010 fand die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung im Betrieb des Beteiligten zu 8) in A statt. Im Betrieb arbeiten u.a. 48 schwerbehinderte Menschen, zu denen die Beteiligten zu 1) bis 5) gehören. Die Beteiligte zu 7) ist die gewählte Schwerbehindertenvertretung. Die Wahl der Schwerbehindertenvertretung wurde im vereinfachten Verfahren durchgeführt. Auf die Einladung vom 26. Okt. 2010 zur Wahlversammlung vom 17. Nov. 2010 um 14 Uhr in der Kantine im Erdgeschoss des Gebäudes in der B wird Bezug genommen (Bl 14 d. A.).
Gewählt wurde an einem Tisch (Wahltisch), an dem kein Sichtschutz angebracht war, in einer Entfernung von etwa 3 m zum Tisch der Wahlleitung (Skizze Bl. 74 d. A.). An der Wahl nahmen 18 schwerbehinderte Mitarbeiter teil. Sie trugen sich in eine Wählerliste ein. Nach Vorbringen der Wahlvorschläge wurde ein Stimmzettel vorbereitet und fotokopiert. Es fanden die Wahlgänge zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung und zweier Stellvertreter statt. Die anwesenden Wahlberechtigten erhielten bei jedem Wahlgang einen Stimmzettel. Diese füllten sie der Reihe nach am Wahltisch aus, knickten den Stimmzettel, begaben sich zum Tisch der Wahlleitung und warfen den Stimmzettel in einen Karton. Für die Wahl der Schwerbehindertenvertretung wurden 18 Stimmzettel abgegeben, von denen einer durch die Wahlleitung für ungültig erklärt worden ist. Mit einer Stimme Vorsprung wurde Herr C zur Vertrauensperson gewählt. Auf die Niederschrift über das Ergebnis der Wahl wird verwiesen (Bl. 73 d. A.). Das Wahlergebnis wurde am 18. Nov. 2010 ausgehängt (Bl. 13 d. A.).
Mit ihrem am 26. Nov. 2010 beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingegangenen Antrag haben die Beteiligten zu 1) bis 5) die Wahl der Schwerbehindertenvertretung für ungültig angesehen, weil die Wahlleitung den Grundsatz der geheimen Wahl verletzt habe.
Die Beteiligten zu 1) bis 5) haben beantragt,
die Wahl der Schwerbehindertenvertretung vom 17. Nov. 2010 im Betrieb A der Arbeitgeberin für unwirksam zu erklären.
Die Schwerbehindertenvertretung hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Beteiligte zu 8) hat keinen Antrag gestellt.
Die Schwerbehindertenvertretung hat behauptet, die Teilnehmer an der Wahlversammlung hätten aufgrund des Abstandes zum Wahltisch nicht sehen können, ob und wie ein Wähler den Stimmzettel angekreuzt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des erstinstanzlichen Verfahrens wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat dem Antrag durch Beschluss vom 26. Mai 2011 - 19 BV 800/10 - stattgegeben. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, die Wahl sei ungültig, da mangels Sichtschutzes am Wahltisch die Möglichkeit bestanden habe, dass Dritte beobachteten, wie die Wähler den Stimmzettel ausfüllen. Außerdem hätte theoretisch auch die Wahlleitung vom Wahlverhalten einzelner Wähler Kenntnis nehmen können, da keine Wahlumschläge benutzt worden seien. Es sei nicht auszuschließen, dass die schwerbehinderten Arbeitnehmer von ihrem Wahlrecht in anderer Art und Weise Gebrauch gemacht hätten, wenn das Wahlgeheimnis gesichert gewesen wäre. Es sei auch nicht auszuschließen, dass die Wähler sich beim Ausfüllen...