Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung der Wahl zur Schwerbehindertenvertretung. Anforderungen an Durchführung der Wahl. Zur Verwirkung des Anfechtungsrechts
Leitsatz (redaktionell)
Gegen die zwingenden Vorschriften über das Wahlverfahren in § 20 Abs. 3 SchwbVWO hat die Wahlleitung deutlich verstoßen, indem es keine Wahlumschläge gab und die Stimmzettel nur gefaltet in den Karton gelegt wurden.
Normenkette
SGB IX § 94 Abs. 4; BetrVG § 19; SchwbVWO §§ 18, 20 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Kassel (Entscheidung vom 13.04.2011; Aktenzeichen 7 BV 9/10) |
Tenor
Auf die Anschlussbeschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Kassel vom 13. April 2011 - 7 BV 9/10 - teilweise abgeändert.
Die am 05. November 2010 durchgeführte Wahl zur Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen wird für ungültig erklärt.
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit einer Wahl zur Schwerbehindertenvertretung.
Am 5. Nov. 2010 fand die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung im Betrieb A der Beteiligten zu 2) statt. Im Betrieb arbeiten u.a. 11 schwerbehinderte Menschen (Bl. 81 d. A.). Der Beteiligte zu 1), der selbst nicht schwerbehindert ist, wurde als Schwerbehindertenvertretung gewählt. Die Wahl der Schwerbehindertenvertretung wurde im vereinfachten Verfahren durchgeführt. Zu der Wahl wurde durch Aushang (Bl. 45 d. A.) zur Wahlversammlung am 5. Nov. 2010 um 12.00 Uhr in den Pausenraum eingeladen, zusätzlich durch persönliches Schreiben (Bl. 46 d. A.) an die schwerbehinderten Menschen. Zur Wahlversammlung kamen neun schwerbehinderte Menschen. Frau B befand sich in Urlaub, Frau C kam erst nach dem ersten Wahlgang. Die Versammlung wurde durch die bisherige Schwerbehindertenvertretung Frau D geleitet. Wahlhelferin war die Betriebsratsvorsitzende E. Es gab einen Wahlvorschlag mit sechs Bewerbern (Bl. 50 d. A.). Der handschriftliche Wahlvorschlag wurde kopiert. Zur Stimmabgabe begaben sich die Wahlberechtigten in einen vom Wahlraum durch eine Falttür abgetrennten Nebenraum, in der auch die Wahlurne stand (Fotografien Bl. 47 bis 49 d. A.). Nach der Stimmabgabe fand im Wahlraum die Auszählung statt. Es waren neun Stimmzettel abgegeben worden, auf denen jeweils ein Kandidat angekreuzt war. Auf den Beteiligten zu 1) entfielen fünf Stimmen. Die weiteren vier Stimmen verteilten sich auf andere Kandidaten. Die Wahl der stellvertretenden Vertrauensperson fand an diesem Tag nicht mehr statt, weil die Wahl abgebrochen worden ist.
Der Beteiligte zu 1) hat behauptet, am Tage der Wahlversammlung sei das Wahlergebnis am schwarzen Brett im Personaleingangsbereich ausgehängt worden. Er ist der Auffassung gewesen, es habe bei der Wahl keine Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften gegeben.
Mit seinem am 30. Nov. 2010 beim Arbeitsgericht Kassel eingegangenen Antrag hat der Beteiligte zu 1) beantragt,
festzustellen, dass er am 5. Nov. 2010 als Schwerbehindertenvertrauensperson gewählt worden ist und die Aufgaben der Schwerbehindertenvertrauensperson für den Betrieb der F GmbH am Standort A in der Zeit vom 30. Nov. 2010 bis 29. November 2014 wahrzunehmen hat.
Die Beteiligte zu 2) hatte zunächst beantragt,
den Antrag zurückzuweisen
sowie für den Fall des Obsiegens des Beteiligten zu 1) mit seinem Antrag die am 5. November 2010 durchgeführte Wahl zur Schwerbehinderten-Vertrauensperson für nichtig zu erklären sowie hilfsweise die am 5. November 2010 durchgeführte Wahl zur Schwerbehindertenvertrauensperson für unwirksam zu erklären.
Der Beteiligte zu 1) hat ferner beantragt,
die Wideranträge zurückzuweisen.
Die Beteiligte zu 2) ist der Ansicht gewesen, die Wahl vom 5. Nov. 2010 sei unwirksam. Sie hat behauptet, die Wahlleitung sei nicht gemäß § 20 Abs. 1 der Wahlordnung gewählt worden. Entgegen § 20 Abs. 3 Wahlordnung sei es nicht zur Verwendung von Wahlumschlägen gekommen. Das Einwerfen der Stimmzettel in eine Wahlurne in einem abgetrennten Raum entspreche nicht den Vorgaben für eine geheime Wahl. So habe jeder, der den abgetrennten Raum betreten habe, ungehinderten Zugriff auf die Wahlurne gehabt. Eine Wählerliste habe es nicht gegeben. Eine Registrierung, ob jeder Wahlberechtigte überhaupt gewählt und einen oder zwei Stimmzettel in die Wahlurne geworfen habe, sei nicht erfolgt, zumal die Stimmzettel nicht abgezählt worden seien. Bezüglich ihres am 1. April 2011 eingereichten Hilfswiderantrages ist sie der Auffassung gewesen, die Anfechtungsfrist des § 94 Abs. 6 SGB IX in Verbindung mit § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG habe noch nicht zu laufen begonnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des erstinstanzlichen Verfahrens wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen.
Das Arbeitsgericht Kassel hat den Antrag des Beteiligten zu 1) durch Beschluss vom 13. April 2011 - 7 BV 9/10 - zurückgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, ei...