Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigungsmöglichkeit einer Betriebsvereinbarung. Rechtsmissbrauch
Leitsatz (redaktionell)
Die Abänderung der Kündigungsmöglichkeit einer Betriebsvereinbarung von einer Jahresfrist auf eine Dreijahresfrist kurz vor Ablauf der Amtsperiode des Betriebsrats kann rechtsmissbräuchlich sein.
Orientierungssatz
Ändert der Betriebsrat kurz vor Ablauf seiner Amtszeit die Kündigungsmöglichkeit einer Betriebsvereinbarung, die noch kein Jahr in Kraft war, als einzige Änderung dahingehend ab (wie auch bei 16 weiteren Betriebsvereinbarungen), dass diese frühestens zu einem Kündigungszeitpunkt in drei Jahren gekündigt werden kann (während bis dahin kein bestimmter Kündigungszeitpunkt galt), kann dies eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung zu Lasten des neuen Betriebsrates sein (im vorliegenden Einzelfall bejaht).
Normenkette
BetrVG §§ 77, 2 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Darmstadt (Beschluss vom 23.09.2011; Aktenzeichen 9 BV 7/10) |
Tenor
Es wird festgestellt, dass die unter dem 08. Dezember 2009 vorgenommene Änderung der Betriebsordnung vom 12. Dezember 2008 insoweit unwirksam ist, als diese erstmalig zum Termin 31. Dezember 2012 kündbar ist.
Im Übrigen wird die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages zu b) [erstinstanzlicher Antrag zu 2] zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten u.a. um die Kündigungsfrist für die Betriebsordnung.
Der bei der Beteiligten zu 2) für das Distributionscenter in A gewählte Betriebsrat (Beteiligter zu 1) besteht aus 11 Mitgliedern. Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der chemischen Industrie und gehört zum B-Konzern. Sie beschäftigt im Distributionscenter zum Vertrieb von Haarkosmetik und Düften in A etwa 515 Personen.
Der Betriebsrat ist auf Grundlage eines Tarifvertrages nach § 3 Abs. 1 Ziff. 3 BetrVG (Bl. 8 – 11 d. A.) für den Standort A gebildet worden. Auf die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer des Distributionscenters A finden die Tarifverträge der chemischen Industrie Anwendung. Nach Aushang des Wahlausschreibens von 27. Nov. 2009 zur Wahl des Betriebsrats schlossen der Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebes mehrerer Unternehmen in C und A sowie Unternehmen des Konzerns, dem die Arbeitgeberin angehört, unter dem 8. Dez. 2009 (BI. 27 d. A.) eine Vereinbarung zur Änderung der am 1. Jan. 2009 in Kraft getretenen Betriebsordnung vom 12. Dez. 2008 (Bl. 28 – 57 d. A.). Danach wurde die bisherige Kündbarkeit der Betriebsordnung mit einer Frist von drei Monaten zum Ende eines Kalendervierteljahres (Ziff. 12 Abs. 2) dergestalt abgeändert, dass die Betriebsordnung erstmalig mit einer Frist von sechs Monaten zum 31. Dez. 2012 und sodann mit einer Frist von sechs Monaten zum jeweiligen Folgejahr kündbar sei und dass die Regelungen der Betriebsordnung bis zum Abschluss einer neuen Betriebsordnung nachwirkten.
Der Betriebsrat hat die Betriebsordnung mit Schreiben vom 16. April 2010 (Bl. 214 d. A.) fristlos, hilfsweise mit gesetzlicher Frist, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin gekündigt.
Mit den am 4. Mai 2010 beim Arbeitsgericht Darmstadt eingegangenen Anträgen begehrt der Betriebsrat u.a. die Feststellung, dass die unter dem 8. Dez. 2009 vorgenommene Änderung der Betriebsordnung rechtsunwirksam ist. Der Betriebsrat hat vorgetragen, der bisherige Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebes habe ohne Not die bisherige Kündigungsmöglichkeit der Betriebsordnung und damit einer zentralen Betriebsvereinbarung wesentlich eingeschränkt. Dies sei offenbar in der Absicht geschehen, den neu gewählten Betriebsrat in seinen Rechten in unzulässiger Weise zu beschneiden. Diese Verfahrensweise sei rechtsmissbräuchlich. Es habe keinen Grund gegeben, die Kündigungsfrist der Betriebsordnung zu verändern. Die gesetzliche Kündigungsfrist bei Betriebsvereinbarungen gewährleiste ausreichend Rechtssicherheit. Im Jahr 2009 sei ein Verfahren beim Arbeitsgericht auf Feststellung der Nichtigkeit der seinerzeitigen vorherigen Betriebsratswahl anhängig gewesen. Es sei den seinerzeitigen Betriebsparteien, welche die Neufassung der Betriebsordnung unterzeichnet hätten, also voll bewusst gewesen, dass es den Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebs C-A nach der Wahl nicht mehr geben würde und auch der größte Teil seiner Mitglieder für den neu gewählten Betriebsrat nicht mehr kandidieren könnte. Von den 19 Betriebsratsmitgliedern hätten nämlich nur drei ihren Arbeitsplatz im Distributionscenter A gehabt. Es sei rechtsmissbräuchlich gewesen, dass der bisherige Gemeinschaftsbetriebsrat es der Arbeitgeberseite noch kurz vor seiner Auflösung habe ermöglichen wollen, eigene Gestaltungswünsche des späteren und jetzigen Betriebsrates in A auf Jahre hinaus zu blockieren. Dies komme einem unzulässigen dauerhaften Verzicht auf Mitbestimmungsrechte gleich.
Der Betriebsrat hat, soweit für diesen Teilbeschluss von Interesse, beantragt,
festzustellen, dass die unter dem 8. Dez. 2009 vorgenommene Änderung der Betriebsordnung vom 12. Dez. 2008 rechtsunwirksam ist und die Betrieb...