Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeit einer Betriebsratswahl. Verkennung des Betriebsbegriffs i.S.d. BetrVG. Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl wegen fehlerhafter Zulassung von Wahlberechtigten und Wahlkandidaten. Keine Betriebsratswahl in einer im Ausland liegenden Niederlassung. Teilnahme von im Ausland beschäftigten Arbeitnehmern an einer Betriebsratswahl in Deutschland
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Betriebsratswahl ist nur in ganz besonderen Ausnahmefällen nichtig. Voraussetzung dafür ist ein so eklatanter Verstoß gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht.
2. Die Zulassung von nicht Wahlberechtigten ist lediglich ein Grund zur Anfechtung der Wahl, entsprechendes gilt für die Zulassung nicht wählbarer Arbeitnehmer als Kandidaten.
3. Nichtigkeit kann vorliegen, wenn von Anfang an die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer Betriebsratswahl fehlen. Für einen im Ausland ansässigen Betrieb kann von vornherein kein Betriebsrat gewählt werden.
4. Die Teilnahme von in einer Niederlassung in Luxemburg beschäftigten Arbeitnehmern an einer Betriebsratswahl am Hauptsitz des Unternehmens in Wiesbaden führt nicht zur Nichtigkeit der Wahl.
Leitsatz (redaktionell)
Die Verkennung des Betriebsbegriffs hat in der Regel nicht die Nichtigkeit, sondern nur die Anfechtbarkeit der darauf beruhenden Betriebsratswahl zur Folge. Dies gilt auch dann, wenn es um die Verkennung der „richtigen“ Rechtsgrundlage für die Bestimmung des Betriebsbegriffs geht, also um die Frage, ob in den Betrieben nach §§ 1 und 4 BetrVG oder in den Organisationseinheiten nach gemäß § 3 BetrVG zu wählenden Strukturen ein Betriebsrat zu wählen ist.
Normenkette
BetrVG §§ 19, 1, 3-4, 18 Abs. 2, § 118 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 15.09.2022; Aktenzeichen 4 BV 3/21) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 15. September 2022 – 4 BV 3/21 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl.
Der Antragsteller (Arbeitgeber) erbringt Dienstleistungen im Rechnungswesen für Immobilienfonds und beschäftigt in Deutschland etwa 200 Arbeitnehmer. Sein Hauptsitz befindet sich in A. Daneben gibt es Betriebsstätten in B und C. Weitere 12 Arbeitnehmer werden in einer im Handelsregister eingetragenen Niederlassung in Luxemburg beschäftigt. Die dort tätigen Mitarbeiter sind ausschließlich für diese Tätigkeit eingestellt und werden dort beschäftigt.
Beteiligter zu 2 ist der im Betrieb des Arbeitgebers gebildete Betriebsrat.
An der im Betrieb des Antragstellers am 25. April 2018 durchgeführten Betriebsratswahl nahmen auch die in der Niederlassung in Luxemburg tätigen Mitarbeiter teil. Einer der dortigen Mitarbeiter, D, kandidierte und rückte im März 2019 in den Betriebsrat nach. Die Betriebsratswahl wurde nicht angefochten.
Mit einem am 18. Juli 2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Arbeitgeber die Nichtigkeit der Betriebsratswahl vom 24. April 2018 geltend gemacht.
Der Arbeitgeber hat die Auffassung vertreten, die Teilnahme der Mitarbeiter der Niederlassung in Luxemburg an der Betriebsratswahl führe zu deren Nichtigkeit.
Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter I. (Bl. 129R bis 130 der Akte) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen; wegen der Begründung wird auf die Ausführungen im Beschluss unter II. (Bl. 130-131 der Akten) verwiesen.
Dieser Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten des Arbeitgebers am 22. September 2022 zugestellt, der dagegen mit einem am 24. Oktober 2022 (Montag) eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese am 21. November 2022 begründet hat.
Der Arbeitgeber rügt, die Auffassung des Arbeitsgerichts, eine Nichtigkeit der Betriebsratswahl liege nicht vor, wenn einzelne Wähler kein aktives Wahlrecht im Sinne von § 7 BetrVG besitzen, treffe deshalb nicht zu, weil hier nicht nur einzelne, sondern eine Vielzahl betriebsfremder Personen, nämlich die 12 in der Niederlassung Luxemburg beschäftigten Arbeitnehmer, an der Wahl teilgenommen haben, wobei ein Mitarbeiter sogar kandidierte und später als Ersatzmitglied in das Gremium nachrückte. Ferner habe das Arbeitsgericht gemeint, allein die Verkennung des Betriebsbegriffs führe nicht zur Nichtigkeit. Dabei habe es verkannt, dass es vorliegend nicht allein um die Verkennung des Betriebsbegriffs, sondern um die Verkennung des persönlichen Anwendungsbereichs des Betriebsverfassungsgesetzes geht. Darauf habe der Arbeitgeber wiederholt, zuletzt mit Schriftsatz vom 14. Juli 2022 (Bl. 116 ff. der Akte) hingewiesen. Schließlich habe das Arbeitsgericht die Auffassung vertreten, allein aufgrund des zeitlichen Ablaufs zwischen den Betriebsratswahlen 2018 und dem erst im Jahr 2021 anh...