Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen des gerichtlichen Abbruchs einer Betriebsratswahl. Antragsbefugnis einzelner Arbeitnehmer. Gerichtliche Entscheidung über den Abbruch der Betriebsratswahl bei Durchführung der Wahl entgegen einer bindenden gerichtlichen Entscheidung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Antragsberechtigung für ein Verfahren auf Abbruch einer Betriebsratswahl ergibt sich aus § 19 Absatz 2 BetrVG analog.
2. Der gerichtliche Abbruch einer Betriebsratswahl aufgrund von Mängeln des Wahlverfahrens kommt nur in Betracht, wenn die Wahl voraussichtlich nichtig wäre (BAG 27. Juli 2011 – 7 ABR 61/10 – Rn. 24).
3. Die Verkennung des Betriebsbegriffs führt nur zur Anfechtbarkeit, nicht zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl.
4. Allerdings kann eine Betriebsratswahl, die entgegen einer bindenden gerichtlichen Entscheidung in einem Verfahren nach § 18 Absatz 2 BetrVG durchgeführt werden soll, zur Nichtigkeit der Wahl führen. Dies gilt jedoch nicht für die Feststellung der Unwirksamkeit einer vorangegangenen Betriebsratswahl im Anfechtungsverfahren nach § 19 BetrVG, da die tragende Begründung (Verkennung des Betriebsbegriffs) nicht an der Rechtskraftwirkung teilnimmt.
5. Fehler bei der Bestellung des Wahlvorstands rechtfertigen den Abbruch der Betriebsratswahl nur, wenn sie so schwer wiegen, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Bestellung des Wahlvorstands nicht mehr besteht.
6. Zur analogen Anwendung von § 21a Absatz 2 BetrVG (siehe BAG 22. November 2017 – 7 ABR 40/16).
Normenkette
BetrVG § 19
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 07.08.2020; Aktenzeichen 24 BVGa 363/20) |
Tenor
Die Beschwerden der Beschwerdeführer zu 1-6 und 7-10 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 7. August 2020 – 24 BVGa 363/20 - werden zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über den Abbruch einer Betriebsratswahl.
Die Antragsteller zu 1-10 sind Arbeitnehmer des unter 12. beteiligten Arbeitgebers. Dieser bildet einen Gemeinschaftsbetrieb mit den Beteiligten zu 13 und 14. Beteiligter zu 11 ist der Wahlvorstand im Gemeinschaftsbetrieb der Beteiligten zu 12 und 13.
Die Arbeitgeber (Beteiligte zu 12, 13 und 14) schlossen zum 1. Juli 2017 eine Kooperationsvereinbarung zum Gemeinschaftsbetrieb. Auf tarifvertraglicher Grundlage (Landesbezirkstarifverträge Nr. 8, 8a) wurde mit Wirkung zum 1. Juli 2017 auf der Grundlage von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zur Regelung der betriebsverfassungsrechtlichen Struktur im Gemeinschaftsbetrieb der Beteiligten zu 12, 13 und 14 vereinbart, dass im Gemeinschaftsbetrieb kein gemeinsamer Betriebsrat gewählt wird und stattdessen die Interessen der Arbeitnehmer der Beteiligten zu 12 und 13 einerseits und die der Arbeitnehmer der Beteiligten zu 14 andererseits jeweils durch einen eigenständigen Betriebsrat vertreten werden.
Die im Betrieb der Beteiligten zu 14 vom 7. bis 9. Juli 2017 durchgeführte Betriebsratswahl wurde von 6 wahlberechtigten Arbeitnehmern angefochten (Arbeitsgericht Frankfurt am Main 7 BV 553/17). Das Arbeitsgericht wies den Antrag zurück. Die Entscheidung wurde rechtskräftig. Die im Betrieb der Beteiligten zu 12 und 13 durchgeführte Betriebsratswahl vom 23.-27. April 2018 wurde von 9 wahlberechtigten Arbeitnehmern angefochten (Arbeitsgericht Frankfurt am Main 25 BV 289/18). Das Arbeitsgericht erklärte die Wahl für unwirksam, aber nicht nichtig. Die dagegen eingelegten Beschwerden wies das Hessische Landesarbeitsgericht zurück (16 TaBV 33/19). Dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerden blieben ohne Erfolg (Bundesarbeitsgericht 7 ABN 79/19). Ein Antrag nach § 18 Abs. 2 BetrVG wurde weder in dem einen noch in dem anderen Verfahren gestellt.
Am 11. Mai 2020 beschloss der am 27. April 2018 gewählte Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebs der Beteiligten zu 12 und 13 seinen Rücktritt und in seiner Sitzung vom 10. Juni 2020 die Bildung eines Wahlvorstandes (Beteiligter zu 11). Dieser leitete Betriebsratswahlen für den Gemeinschaftsbetrieb der Beteiligten zu 12 und 13 ein.
Der im Konzern der beteiligten Unternehmen gebildete Konzernbetriebsrat bestellte am 3. August 2020 einen Wahlvorstand, der aus denselben Personen wie der bereits durch Beschluss des Betriebsrats des Gemeinschaftsbetriebs der Beteiligten zu 12 und 13 gebildete Wahlvorstand besteht.
Mit ihrem am 23. Juli 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz haben die Antragsteller zu 1-6 den Abbruch der Betriebsratswahl gerichtlich geltend gemacht. Die Antragsteller zu 7-10 haben ebenfalls mit einem am 23. Juli 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz den Abbruch der Betriebsratswahl gerichtlich geltend gemacht.
Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter A. der Gründe (Blatt 96-101 der Akte) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge zurückgewiesen; wegen der Begründung wird auf die Ausführungen unter ...