Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen ordnungsgemäßer Beschlüsse des Betriebsrats. Unterlassungsansprüche des Betriebsrats. Unterlassungsanspruch des Betriebsrats aus nachwirkender Betriebsvereinbarung. Unterlassungsanspruch und unzulässige Rechtsausübung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Einleitung eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens und die Beauftragung eines Rechtsanwalts bedürfen eines ordnungsgemäßen Beschlusses des Betriebsrats. Näheres regelt § 29 BetrVG. Wesentlich für die Wirksamkeit eines in der Sitzung geplanten Beschlusses ist die Ladung eines Ersatzmitglieds für ein verhindertes Betriebsratsmitglied. Eine mangels Übermittlung der Tagesordnung fehlerhafte Ladung zu einer Betriebsratssitzung kann durch die übrigen ordnungsgemäß geladenen Betriebsratsmitglieder in der Sitzung geheilt werden.
2. Ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats kann sich aus § 23 Abs. 3 BetrVG, als Durchführungsanspruch aus einer Betriebsvereinbarung oder als allgemeiner Unterlassungsanspruch aus § 87 Abs. 1 BetrVG ergeben. So rechtfertigt eine ohne Zustimmung des Betriebsrats angeordnete Kameraüberwachung in einzelnen Betriebsteilen wegen Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG einen Unterlassungsanspruch.
3. Ein Durchführungsanspruch und damit ggf. ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats kann sich auch aus einer nachwirkenden Betriebsvereinbarung ergeben. Denn § 77 Abs. 6 BetrVG bezweckt eine bestandssichernde Überbrückungsfunktion, bis abweichende oder andere Abmachungen getroffen sind. Im Übrigen gilt der Normzweck des § 77 Abs. 1 BetrVG auch im Nachwirkungszeitraum.
4. Einem Unterlassungsanspruch kann im Einzelfall je nach den Sachumständen der Einwand einer unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen. Eine gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoßende und damit unzulässige Rechtsausübung kann ausnahmsweise vorliegen, wenn sich eine Betriebspartei auf eine formale Rechtsposition beruft, die sie durch ein in erheblichem Maß eigenes betriebsverfassungswidriges Verhalten erlangt hat.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 1 S. 1, § 87 Abs. 1 Nr. 6, § 2 Abs. 1, § 23 Abs. 3, §§ 29, 77 Abs. 6; BGB § 242
Verfahrensgang
ArbG Darmstadt (Beschluss vom 12.02.2019; Aktenzeichen 9 BV 34/18) |
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 2 und 3 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 12. Februar 2019 – 9 BV 34/18 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor lautet:
Den Beteiligten zu 2 und 3 wird unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 10.000€ untersagt, ohne Zustimmung des Betriebsrats bzw. Spruch der betrieblichen Einigungsstelle Überwachungskameras in Abweichung von den in Anlage A zur Betriebsvereinbarung Videoüberwachung, Schließsysteme und
Torkontrolle vom 1. März 2016 vereinbarten Standorten und den dort vereinbarten Zeiten zu nutzen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats.
Die Beteiligten zu 2 und 3 (Arbeitgeber) unterhalten einen Gemeinschaftsbetrieb, für den der Antragsteller (Betriebsrat), der aus 11 Mitgliedern besteht, gebildet ist.
Die Betriebspartner vereinbarten die Betriebsvereinbarung „Videoüberwachung, Schließsysteme und Torkontrolle“ vom 1. März 2016 (Bl. 6 ff. der Akte), in deren Anlage A (Bl. 9 der Akte) aufgeführt ist, an welchen Orten des Betriebs Kameras installiert sind und zu welchen Zeiten diese Aufzeichnungen vornehmen. Inzwischen wurde diese von Arbeitgeberseite gekündigt.
Aus Anlass eines konkreten Verdachts installierten die Arbeitgeber im Betrieb eine Kamera, die den schmalen Streifen zwischen Regal und Wand im Regalbereich 68-13 bis 68-18 auf einer Länge von max. 7 m filmte. Für diesen Bereich ist in Anlage A zur Betriebsvereinbarung „Videoüberwachung, Schließsysteme und Torkontrolle“ (Bl. 9 der Akte) keine Kamera vorgesehen. Der Betriebsrat erlangte hiervon erst im Zusammenhang mit einer Anhörung nach § 102 BetrVG am 23. Oktober 2018 Kenntnis.
Mit seinem am 14. November 2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz hat der Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch, ohne Zustimmung des Betriebsrats bzw. Spruch der Einigungsstelle Überwachungskameras in Abweichung von den vereinbarten Standorten und den vereinbarten Zeiten zu nutzen, geltend gemacht.
Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter I. (Bl. 82-84 der Akte) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben; wegen der Begründung wird auf die Ausführungen unter II. des Beschlusses (Bl. 84R bis 86R der Akte) verwiesen.
Dieser Beschluss wurde der Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeber am 19. Februar 2019 zugestellt, die dagegen am 15. März 2019 Beschwerde eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis 23. Mai 2019 am 9. Mai 2019 begründet hat.
Die Arbeitgeber rügen, das Arbeitsgericht habe sich unzur...