Entscheidungsstichwort (Thema)
Beteiligung des Betriebsrats bei der Anordnung von Überstunden während eines Streiks
Leitsatz (amtlich)
Arbeitskampfbedingte Beschränkungen der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats greifen nicht ein, wenn es sich bei der Anordnung von Überstunden durch den Arbeitgeber um eine reine Streikfolgenkompensation handelt.
Die Anordnung von Überstunden ist als Kampfmaßnahme zu werten, wenn sie sich räumlich und zeitlich mit einer Streikmaßnahme deckt.
Normenkette
BetrVG § 87
Verfahrensgang
ArbG Kassel (Entscheidung vom 14.09.2015; Aktenzeichen 7 BV 7/15) |
Nachgehend
Tenor
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Kassel vom 14.09.2015 - 7 BV 7/15 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts bei der Anordnung von Überstunden anlässlich eines Warnstreiks.
Der Beteiligte zu 1) (im Folgenden: Betriebsrat) repräsentiert die bei der Beteiligten zu 2) (im Folgenden: Arbeitgeberin) in der Niederlassung BRIEF A beschäftigten Arbeitnehmer/innen. Die Arbeitszeiten der Zusteller richten sich nach der "Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitregelung in der Zustellung", insbesondere werden auf dieser Grundlage Dienstpläne erstellt. Wegen des Inhalts der Betriebsvereinbarung vom 16.03.2009 wird auf Blatt 8 bis Blatt 14 der Akten Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 15.04.2015 teilte die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di der Arbeitgeberin mit, dass sie ab dem 15.04.2015 ihre Mitglieder zu Warnstreikmaßnahmen "auf unbestimmte Zeit" im Unternehmen der B aufrufen werde. Wegen des Inhalts des Schreibens wird auf die Kopie Blatt 88 der Akten verwiesen. Aufgrund des Streikaufrufs wurde ohne weitere Informationen über die Streikdauer am 16. und 17.04.2015 gestreikt. Infolgedessen konnte im Bereich des Zustellstützpunktes C ein erheblicher Teil der Sendungen nicht zugestellt werden. Aufgrund der Rückstände war bereits am Samstag absehbar, dass es am folgenden Werktag, Montag, den 04.05.2015, zu erheblich erhöhten Sendungsmengen kommen werde, die im Rahmen dies Dienstplanes nicht zu bewältigen sein würden. Noch am Samstag, den 02.05.2015 wurde für die Beschäftigten des Zustellstützpunktes C ohne Beteiligung des Betriebsrats Mehrarbeit in Höhe von fünf Stunden am kommenden Montag angeordnet. Ferner sollten zwei Beschäftigte an ihrem dienstplanmäßig freien Tag eingesetzt werden. Eine Beteiligung des Betriebsrats an dieser Maßnahme erfolgte ebenfalls nicht. Am 4.5.2016 streikten die Arbeitnehmer im Zustellstützpunkt C nicht. Wegen des Weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie der dort gestellten Anträge wird ergänzend auf den tatbestandlichen Teil des angefochtenen Beschlusses - Blatt 152 bis Blatt 157 der Akten - Bezug genommen.
Mit dem am 14.09.2015 verkündeten Beschluss hat das Arbeitsgericht die Anträge des Betriebsrats zurückgewiesen. Zur Begründung hat es - kurz zusammengefasst - Folgendes ausgeführt: Ein Unterlassungsanspruch stehe dem Betriebsrat nicht zu, da die gebotene arbeitskampfkonforme Auslegung zu einer Einschränkung der Mitbestimmungsrechte führe. Bei der Anordnung der Mehrarbeit für den 04.05.2015 handele es sich um eine Arbeitskampfmaßnahme der Arbeitgeberin während eines Streikgeschehens. Eine Warnstreikmaßnahme sei nicht beendet, wenn die streikführende Gewerkschaft dem Arbeitskampfgegner mitteilt, dass sie auf unbestimmte Zeit zu Warnstreikmaßnahmen aufrufen werde. Wegen der weiteren Begründung im Einzelnen wird auf den angefochtenen Beschluss - Blatt 157 bis Blatt 164 der Akten - verwiesen. Gegen den am 09.11.2015 zugestellten Beschluss hat der Betriebsrat am 30.11.2015 Beschwerde eingelegt und sie nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis 11.02.2016 auf rechtzeitigen Antrag hin mit dem am 11.02.2016 beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Der Betriebsrat verfolgt sein Begehren unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Er meint nach wie vor, dass seine Mitbestimmungsrechte nicht eingeschränkt seien, da der Warnstreik am 04.05.2015 beendet gewesen sei. Bei der Kompensation der Streikfolgen aufgrund des Streiks vom 02.05.2015 handele es sich nicht um eine Streikmaßnahme, sondern lediglich um die Aufarbeitung des streikbedingten Arbeitsausfalls. Würde man der Rechtsprechung des Arbeitsgerichts folgen, könne dies zu einer schrankenlosen Suspendierung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats führen.
Der Betriebsrat beantragt,
der Beschluss des Arbeitsgerichts Kassel vom 14.09.2015 - 7 BV 7/15 - wird abgeändert:
- Der Arbeitgeberin wird aufgegeben es zu unterlassen, Mehrarbeit (Überstunden) an einem Folgetag nach Beendigung eines rechtmäßigen Streiks gegenüber Beschäftigten, die ganz oder teilweise Zustelltätigkeiten ausüben, anzuordnen, zu vereinbaren, entgegenzunehmen oder zu dulden solange der Betriebsrat seine Zustimmung nicht ...