Entscheidungsstichwort (Thema)
Koalitionsfreiheit. Gewerkscaft in der Gewerkscaft
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Gewerkschaft, die den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern für den Fall des Eintritts in einen Verband, der die kollektiven Interessen dieser Arbeitnehmer vertritt, mit dem Ausschluß aus der Gewerkschaft und der fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses droht, verstößt gegen die Koalitionsfreiheit dieses Verbandes gemäß Art. 9 Abs. 3 GG. Die Wiederholungsgefahr solcher Ankündigungen rechtfertigt einen Unterlassungsanspruch des Verbandes gegenüber der Gewerkschaft.
2. Ob und in welchem Umfang die eigene Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft durch koalitionsmäßige Betätigung des Verbandes beeinträchtigt wird, muß im Einzelfall geprüft werden. Die abstrakte Gefahr solcher Beeinträchtigungen rechtfertigt nicht die angedrohten Sanktionen für den Fall der Mitgliedschaft.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Berufung der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen daß die Unterlassung, zu der die Beklagte mit Urteil vom 19. Juni 1996 (Az.: 14 Ca 522/95 ArbG Frankfurt) verurteilt wurde, darauf beschränkt wird, die gleichzeitige Mitgliedschaft bei ihr und dem klagenden Verband für unzulässig zu erklären, ihren Beschäftigten für den Fell der Mitgliedschaft in klagenden Verband den Ausschluß aus ihr anzudrohen und ihren Beschäftigten gegenüber zu erklären, sie müßten bei einer Mitgliedschaft im klagenden Verband mit der fristlosen Kündigung ihrer Arbeitsverhältnisse rechnen.
Die Kosten der erfolglosen Berufung hat die Beklagte zu tragen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um einen Unteriassungsanspruch des Klägers im Hinblick auf Äußerungen der Beklagten über das Recht der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer, Mitglieder des Klägers zu werden.
Kläger und Berufungsbeklagter, im folgenden Kläger genannt, ist der Verband der Gewerkschaftsbeschäftigten (VGB). Dieser wurde am 09. April 1994 in Fulda gegründet und hat seinen Sitz in Schwandorf. Er vertritt gemäß § 2 der am Gründungstag beschlossenen Satzung „die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Beschäftigten der Gewerkschaften und ihrer Dachorganisation gegenüber diesen Organisationen”.
In der Präambel seiner Satzung stützt sich der Kläger auf das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit und sieht sich „geleitet von den Grundsätzen freier und unabhängiger Gewerkschaften und getragen von dem Willen, das bewährte Institut der Tarifautonomie auch im innergewerkschaftlichen Raum zur Geltung zu bringen”.
Unter § 4 der Satzung finden sich folgende Grundsätze:
„(1) Der Verband ist weder eine konkurrierende noch eine gegnerische Organisation zum DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften.
(2) Der Verband bekennt sich zu den Prinzipien freier und unabhängiger Gewerkschaften, insbesondere zum Grundsatzprogramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
(3) Der Verband bejaht die Einheitsgewerkschaft. Er übernimmt daher nur Aufgaben, die, bezogen auf Gewerkschaftsverwaltungen, von der Gewerkschaft HBV gemäß ihrer Satzung wahrgenommen werden sollen, rechtlich von der Gewerkschaft HBV aber nicht wahrgenommen werden können.”
Daraus ergeben sich gemäß § 5 der Satzung folgende Aufgaben:
- „Wahrung und Verbesserung der Einkommens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten der Gewerkschaften und deren Dachorganisation.
- Förderung der Gleichstellung der Frauen.
- Unterstützung der Betriebsräte und Gesamtbetriebsräte im Organisationsbereich des Verbandes bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben.
- Beratung bei Streitigkeiten, die sich aus dem Arbeitsverhältnis und aus der Wahmehmung verbandspolitischer Ziele und Aufgaben ergeben.”
Wegen der weiteren Regelungen in der Satzung des Klägers wird auf Bl. 26 d.A. Bezug genommen.
Die Beklagte und Berufungsklägerin, im folgenden Beklagte genannt, ist die G. der E. – D. (G.), die Arbeitnehmerorganisation der Deutschen Bahn AG, der weiteren Nachfolgeinstitutionen der Deutsche Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn sowie deren Tochter- und Beteiligungsgesellschaften. Gemäß § 1 ihrer Satzung hat sie ihren Sitz in Frankfurt am Main. Sie ist Mitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), im Gewerkschaftlichen Verkehrsausschuß der Europäischen Gemeinschaft und in der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF).
Gemäß § 10 Abs. 1 e) der Satzung kann der Ausschluß eines Mitglieds erfolgen,
„wenn es einer gegnerischen Organisation oder konkurrierenden Gewerkschaft angehört bzw. einer Organisation, hinsichtlich der der Hauptvorstand sonst Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft mit der G.-Mitgliedschaft festgestellt hat”.
Wegen der weiteren Satzungsinhalte wird auf Bl. 120 bis 165 d.A. verwiesen.
Alle Beschäftigten der Beklagten sind gleichzeitig deren Mitglieder. Ihre Arbeitsbedingungen sind im wesentlichen in zwischen der Beklagten und ihrem Betriebsrat ausgehandelten Betriebsvereinbarungen geregelt. In § 16 Abs. 3 der für alle Beschäftigten der Beklagten geltenden Ve...