Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmung bei Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen
Leitsatz (amtlich)
Auch wenn keine ausdrückliche Aufspaltung zwischen Tariflohn und Zulage ausgewiesen wird, jedoch zumindest einige Arbeitnehmer und der Arbeitgeber tarifgebunden sind, entsteht ein kollektiver Tatbestand, der Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Ziff. 10. BetrVG auslösen kann, wenn der Arbeitgeber ein bestimmtes Volumen der Bruttoentgeldsumme, das der Tariflohnerhöhung entspricht, zur Entgelterhöhung verwendet und dabei die Arbeitnehmer unterschiedlich behandelt werden.
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Ziff. 10
Verfahrensgang
ArbG Darmstadt (Beschluss vom 31.10.1991; Aktenzeichen 2 BV 8/91) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 31.10.1991 – 2 BV 8/91 – abgeändert:
Es wird festgestellt, daß die Arbeitgeberin nicht berechtigt ist, übertarifliche Vergütungsbestandteile aus Anlaß der Erhöhung der tariflichen Vergütung anzurechnen, solange nicht der Betriebsrat zugestimmt hat oder die ersetzende Zustimmung der Einigungsstelle vorliegt, es sei denn, daß die Verteilungsgrundsätze sich durch die Anrechnung nicht ändern oder daß die Arbeitgeberin vollständig und gleichmäßig anrechnet.
Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung des Arbeitgebers, bei jährlichen Lohnerhöhungen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Ziffer 10 BetrVG beachten zu müssen.
Der Arbeitgeber und Antragsgegner betreibt eine Spedition in Kelsterbach mit etwa 80 Arbeitnehmern. Antragsteller ist der bei ihm gebildete Betriebsrat. Der Arbeitgeber ist Mitglied der Vereinigung des Verkehrsgewerbes in Hessen e.V. Die zwischen ihm und einem großen Teil der Arbeitnehmern ausgehandelten Entgelte sind übertariflich.
In den Musterarbeitsverträgen für Angestellte und gewerbliche Arbeitnehmer (Bl. 85 bis 90 d.A.) wird nicht auf tarifvertragliche Vorschriften Bezug genommen, die Entgelthöhe ist nicht aufgespalten in einen tariflichen und einen übertariflichen Anteil. Eine Zulagenordnung besteht nicht.
Die Lohnerhöhungen der Branche 1991 von ca. 6 % hat der Arbeitgeber in Höhe von insgesamt 6 % der Bruttoentgeltsumme, im einzelnen jedoch in unterschiedlicher Höhe an die Mitarbeiter weitergegeben. Die Entgelterhöhungen beliefen sich auf Beträge zwischen DM 30,00 und DM 450,00. Einige Mitarbeiter erhielten keine Entgelterhöhung, einige die volle Tariflohnerhöhung, einige mehr als diese. Wegen der Einzelheiten wird auf eine Liste des Arbeitgebers, die er dem Betriebsrat am 18.07.1991 übergeben hat (Bl. 16 d.A.), Bezug genommen.
Der Betriebsrat hat die Ansicht vertreten, die Lohnerhöhungen in unterschiedlicher Höhe seien eine mitbestimmungspflichtige Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Vergütungsbestandteile.
Der Betriebsrat hat beantragt,
der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, übertarifliche Lohnbestandteile aus Anlaß einer Tariflohnerhöhung auf die Tariflohnerhöhung anzurechnen, bevor nicht eine Einigung mit ihm über eine Anrechnung erzielt wurde oder eine fehlende Einigung durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt wurde,
der Arbeitgeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu DM 20.000,00 anzudrohen.
Der Arbeitgeber hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Arbeitgeber hat die Ansicht vertreten, ein Mitbestimmungsrecht bestehe nicht, da es keine generelle Tariflohnerhöhung gebe, sondern ausschließlich individualrechtliche Gehaltserhöhungen, die aufgrund besonders guter Leistung nach von der Zentrale in Düsseldorf entwickelten Leitlinien gewährt würden. Die Anhebung der Bezüge orientiere sich prozentual an der Tariflohnerhöhung.
Das Arbeitsgericht hat mit seinem am 10.10.1991 verkündeten Beschluß den Antrag zurückgewiesen. Es hat die Ansicht vertreten, im Betrieb des Arbeitgebers würden keine übertariflichen Zulagen gezahlt, sondern ein einheitliches Entgelt für die jeweilig geschuldete Arbeitsleistung. Es fehle ein Anhaltspunkt für den Willen des Arbeitgebers, Zulagen zu zahlen. Die Höhe des nicht ausgewiesenen übertariflichen Lohnbestandteiles ergebe sich lediglich, rechnerisch aus der unterschiedlichen Höhe von Tarif- und Effektivlohn. Daran ändere die Verbandsmitgliedschaft des Arbeitgebers nichts. Es sei kein generell abstraktes Regelungssystem festzustellen, nach dem Arbeitnehmer von der generell gewährten Tariflohnerhöhung ausgenommen würden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschlusses und zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gründe (Bl. 29 bis 32 d. A.) Bezug genommen.
Gegen diesen ihm am 03.12.1991 zugestellten Beschluß hat der Betriebsrat am 30.12.1991 Beschwerde eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 29.02.1992, einem Samstag, am 02.03.1992 (einem Montag) begründet.
Der Betriebsrat wiederholt und vertieft seine bereits erstinstanzlich geäußert...