Leitsatz (amtlich)
1. Zwar muß sich der AN bei der nachträglichen Zulassung der Kündigungsschutzklage das Verschulden eines Prozeßbevollmächtigten und eines gesetzlichen Vertreters zurechnen lassen. Für einen rechtsgeschäftlichen Vertreter gilt das gleiche aber nur, wenn sich die Vertretungsmacht irgendwie auf den Prozeß bezieht.
2. Versäumt der AN die 3-Wochen-Frist für die Kündigungsschutzklage dadurch, daß das mit der Leerung des Briefkastens generell betraute Familienmitglied ein an den AN gerichtetes Kündigungsschreiben diesem verspätet aushändigt, dann ist auf den ordnungsgemäß gestellten Antrag des AN die Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen.
Normenkette
BGB §§ 130, 164 ff.; KSchG §§ 4-5; ZPO § 51 II, § 85 II
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Beschluss vom 23.06.1988; Aktenzeichen 10 Ca 4/88) |
Tenor
DerBeschluß des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom23.06.1988 wird abgeändert.
Die Kündigungsschutzklage gegen die außerordentliche Kündigung seitens der Beklagten vom 06.01.1988 wird nachträglich zugelassen.
Die Beklagte hat die Kosten der Beschwerde zu tragen.
Der Beschwerdewert beträgt 4.950,– DM.
Tatbestand
A
Es geht um die nachträgliche Zulassung einer verspäteten Kündigungsschutzklage.
Der 1932 geborene Kläger ist seit 1976 bei der Beklagten beschäftigt. Er ist Türke und hat nur unzureichende Deutschkenntnisse.
Mit Schreiben vom 06.01.1988 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Sie ließ das Kündigungsschreiben am selben Tag gegen 17.00 Uhr durch einen Boten in den Briefkasten des Klägers einwerfen.
Gegen diese Kündigung hat der Kläger am 08.02.1988 eine Kündigungsschutzklage eingereicht und zugleich um die nachträgliche Zulassung der verspäteten Klage gebeten. Zur Begründung des Zulassungsantrags hat er vorgetragen:
In seinem Haushalt sei es üblich, daß seine 22jährige Tochter S. G. den Briefkasten leere, weil sie gute Deutschkenntnisse habe und am Nachmittag als erste von der Arbeit nach Hause komme. Sie habe seinerzeit auch das Kündigungsschreiben mit der gesamten übrigen Post aus dem Briefkasten genommen. Die Tochter habe damals die für sie bestimmte Post geöffnet und den an ihren Vater gerichteten Brief ungeöffnet auf ihren Schreibtisch gelegt, um ihn am Abend dem Vater zu geben. Das habe sie dann vergessen, da sie inzwischen ihre Briefmappe auf den Brief belegt habe. Erst am 03.02.1988 sei die Tochter wieder auf den Brief gestoßen, als sie in der Briefmappe nach ihrem Paß gesucht habe. Sie habe den Brief darauf hin sofort ihrem Vater gegeben.
Zur Glaubhaftmachung dieses Vorbringens hat der Kläger Eidesstattliche Versicherungen von ihm und seiner Tochter vorgelegt. Die Beklagte hat um Zurückweisung des Antrags gebeten.
Sie hat vorgetragen:
Das Vorbringen des Klägers sei unglaubhaft. Im übrigen müsse sich der Kläger das Verhalten seiner Tochter, das in seinen Risikobereich falle, zurechnen lassen.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag durch Beschluß vom 23.06.1988 (Bl. 88–90 d. A.) zurückgewiesen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die erstinstanzliche Prozeßakte verwiesen.
Mit der sofortigen Beschwerde verfolgt der Kläger unter Vertiefung seines bisherigen Vorbringens seinen Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage gegen die fristlose Kündigung vom 06.01.1988 weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Beschwerde. Sie verteidigt den angefochtenen Beschluß.
Zur näheren Darstellung des zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf die in der Beschwerdeinstanz gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
B
I
Die Beschwerde hat Erfolg.
1. Die Kündigungsschutzklage des Klägers gegen die fristlose Entlassung vom 06.01.1988 ist auf seinen Antrag nachträglich zuzulassen. Der Kläger war trotz Aufwendung aller ihm nach Lage der Umstände zumutbaren Sorgfalt verhindert, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung zu erheben (§ 5 KSchG).
2. Der Kläger mußte die Rechtsunwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 06.01.1988 innerhalb von drei Wochen nach dem Zugang der Kündigung im Klagewege geltend machen (§§ 13 Absatz 1 Satz 2, 4 Absatz 1 KSchG). Diese Frist hielt er nicht ein.
3. Die Kündigung ging dem Kläger am 07.01.1988 zu. Eine schriftliche Kündigung ist nach § 130 Absatz 1 BGB zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Art. in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers oder eines anderen, der ihn bei der Empfangnahme von Briefen vertreten konnte, gelangt, und ihm in dieser Weise die Möglichkeit der Kenntnisnahme verschafft ist (ebenso BAG AP Nr. 7 zu § 130 BGB).
a) Durch den Einwurf des Kündigungsschreibens am 06.01.1988 gegen 17.00 Uhr ging die Kündigung dem Kläger nicht bereits an diesem Tage zu. Die Beklagte konnte nicht damit rechnen, daß der Kläger zu dieser Stunde außerhalb der üblichen Postzustellzeit noch in seinen Briefkasten schauen werde. Der Einwurf in einen Wohnungsbriefkasten bewirkt den Zugang erst in dem Zeitpunkt, zu dem nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Leerung zu rechnen ist (ebenso Palan...