Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage. Zurechnung von Vertreterschulden

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage setzt voraus, dass der Arbeitnehmer sie trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt nicht fristgerecht erheben konnte. Den Arbeitnehmer darf keinerlei Verschulden an der Versäumung der Dreiwochenfrist treffen. Bei der Beurteilung der Frage des Verschuldens kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer die nach Lage der Umstände zuzumutende Sorgfalt beachtet hat. Es ist demnach der konkret betroffene Arbeitnehmer in seiner ganz individuellen Situation und nach seinen persönlichen Fähigkeiten zu beurteilen

2. Das Verschulden eines rechtsgeschäftlichen Vertreters muss sich der Arbeitnehmer nur zurechnen lassen, wenn sich die erteilte Vertretungsmacht irgendwie auf den Prozess bezieht. Händigt ein während des Krankenhausaufenthalts mit der Entgegennahme der Post betrautes Familienmitglied ein an den Arbeitnehmer gerichtetes Kündigungsschreiben verspätet aus, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Arbeitnehmer die nach Lage der Umstände zuzumutende Sorgfalt nicht beachtet hat.

 

Normenkette

KSchG § 5

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Urteil vom 18.12.2003; Aktenzeichen 5 Ca 2381/03)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern – Bad Kreuznach – vom 18.12.2003 – 5 Ca 2381/03 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.315,50 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Parteien streiten um eine nachträgliche Zulassung einer verspätet erhobenen Kündigungsschutzklage.

Der Kläger war aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 12.12.2002 seit dem 06.01.2003 bei der Beklagten als Heizungsmonteur mit einer Vergütung von 10,23 EUR brutto pro Stunde in einer 40-Stunden-Woche beschäftigt.

In der Zeit vom 30.07.2003 bis 17.09.2003 befand er sich wegen eines gescheiterten Selbstmordversuches in stationärer Behandlung in der Fachklinik Z.. Mit Schreiben vom 05.08.2003 (Bl. 18 d. A.) sprach die Beklagte dem Kläger gegenüber eine fristlose Kündigung aus. Das per Einschreiben gegen Rückschein versandte Kündigungsschreiben der Beklagten wurde am 06.08.2003 von der Mutter des Klägers entgegengenommen.

Mit Schreiben vom 07.08.2003 (Bl. 9 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen zum 15.09.2003.

Gegen diese Kündigung erhob der Kläger am 25.08.2003 Kündigungsschutzklage.

Im Schriftsatz vom 04.09.2003 berief sich die Beklagte auf die Kündigung vom 05.08.2003 und rügte eine Verfristung der Kündigungsschutzklage.

Der Kläger erhob mit Schriftsatz vom 16.09.2003 – bei Gericht am gleichen Tag eingegangen – Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung vom 05.08.2003 und beantragte zugleich deren nachträgliche Zulassung.

Zur Begründung dieses Antrages trug er vor,

seine Mutter habe den an in adressierten Brief vom 05.08.2003 am 06.08.2003 entgegengenommen. Da er sich – der Kläger – zu diesem Zeitpunkt wegen eines gescheiterten Selbstmordversuches im Krankenhaus befunden habe, habe seine Mutter das Schreiben vom 05.08.2003 in die Handtasche gesteckt, um es bei ihrem nächsten Besuch zu übergeben. Aufgrund der Aufregung wegen des Selbstmordversuches habe seine Mutter in der Folgezeit nicht mehr an den Brief gedacht. Erst durch den Schriftsatz der Beklagten 04.09.2003, der am 09.09.2003 zugegangen sei, habe sein Prozessbevollmächtigter erstmals Kenntnis von der bereits am 05.08.2003 erfolgten Kündigung erhalten. Sein Prozessbevollmächtigter habe bei einem Telefonat am 09.09.2003 von seiner – des Klägers – Mutter von dem in der Handtasche vergessenen Brief der Beklagten erfahren. Er sei ohne sein Verschulden daran gehindert gewesen, innerhalb der Frist zu klagen.

Der Kläger hat beantragt,

die Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung vom 05.08.2003 nachträglich zuzulassen.

Die Beklagte hat,

Zurückweisung des Antrages

beantragt und erwidert,

sie bestreite mit Nichtwissen, dass die Mutter des Klägers aufgrund ihrer Aufregung die Kündigung vom 05.08.2003 erst verspätet ausgehändigt habe. Die Mutter des Klägers habe diesem die spätere Kündigung vom 07.08.2003 übergeben. Es stelle sich daher die Frage, weshalb die ursprüngliche Kündigung nicht übergeben worden sei. Ein diesbezügliches Risiko läge beim Kläger.

Erstinstanzlich wurde eine eidesstattliche Versicherung der Mutter des Klägers – Y. – vom 16.09.2003 (Bl. 34 d. A.) vorgelegt.

Das Arbeitsgericht entsprach mit Beschluss vom 18.12.2003 dem Begehren des Klägers auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung vom 05.08.2003.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt,

aufgrund der eidesstattlichen Versicherung der Mutter des Klägers sei davon auszugehen, dass diese vergessen habe, dem Kläger die Kündigung vom 05.08.2003 auszuhändigen. Der Fall läge ähnlich wie der in der Kommentarliteratur und in der Rechtssprechung aufgeführte Fall, wona...

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