Zugelassene Rechtsbeschwerde

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Gruppenschutz im Betriebsrat

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die durch die Novellierung des BetrVG 1988/89 vorgegebene „gruppenfreundliche” Auslegung des § 26 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. gebietet dessen teleologische Reduktion wie folgt:

  • Der Betriebsrat kann von dieser Soll-Vorschrift nur aus einsichtigen und vernünftigen Gründen abweichen, sofern ein Wahlvorschlag der (nicht-drittelparitätischen) Minderheitsgruppe für die Wahl zum Stellvertreter des BR-Vorsitzenden vorliegt.
  • Verzichtet die (nicht-drittelparitätische) Minderheitsgruppe mehrheitlich auf einen Wahlvorschlag für das Amt des stellvertr. BR-Vorsitzenden, ist der Betriebsrat frei, auch ein Mitglied der Mehrheitsgruppe für dieses weitere Amt zu wählen.

2. Jedenfalls kann sich ein Mitglied der Minderheitsgruppe gegen den Willen der Mehrheit der Minderheitsgruppe nicht unter Berufung auf § 26 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dem Betriebsrat als Stellvertreter des BR-Vorsitzenden durch Eigenkandidatur „aufzwingen”.

 

Normenkette

BetrVG § 26 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Beschluss vom 26.09.1990; Aktenzeichen 17 BV 3/90)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 08.04.1992; Aktenzeichen 7 ABR 71/91)

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 26.9.1990 – 17 BV 3/90 – wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten über die Rechtswirksamkeit der Wahl des Angestellten … am 23. April 1990 zum stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden im Betriebsbereich Frankfurt am Main der Beteiligten zu 4)

Bei der Betriebsrats-Wahl 1990 wurden für die Gruppe der Angestellten insgesamt 26 Betriebsrats-Mitglieder und für die Gruppe der Arbeiter drei Betriebsrats-Mitglieder (darunter der Antragsteller und Beteiligter zu 1) mit 174 Stimmen, sowie die Betriebsrats-Mitglieder … (97 Stimmen) und … (90 Stimmen) von 242 abgegebenen Stimmen) gewählt (Bl. 5 d. A.).

In der konstituierenden Sitzung des Betriebsrates am 23. April 1990 wurde zunächst das Betriebsrats-Mitglied … (Angestellter) zum Betriebsrats-Vorsitzenden gewählt (Bl. 24 d. A.). Für die Wahl zum stellvertretenden Betriebsrats-Vorsitzenden wurde aus der Mitte des Betriebsrates der Angestellte … vorgeschlagen. Der Antragsteller und Beteiligte zu 1) schlug sich selbst vor (Betriebsrats-Sitzungsniederschrift vom 23. April 1990, S. 2 = Bl. 25 d. A.). Nach kontroverser Diskussion wählte der Betriebsrat das Mitglied … mit 25 Stimmen – gegen 4 Stimmen, die für den Beteiligten zu 1) abgegeben wurden – zum stellvertretenden Vorsitzenden (Bl. 26 d. A.).

Hiernach entschied der Betriebsrat, daß für die Gruppe der Arbeiter das Betriebsrats-Mitglied freigestellt werde, wiewohl die Gruppe der Arbeiter keine Freistellung beanspruchen konnte (Bl. 16 und Bl. 23 d. A.).

Der Antragsteller hat die Meinung vertreten, es habe kein begründeter Anlaß bestanden, von der Sollvorschrift des § 26 Abs. 1 BetrVG abzuweichen. Die Beteiligten zu 2) und 3) haben sich demgegenüber auf den Standpunkt gestellt, es hätten ausreichende Gründe vorgelegen, den Antragsteller nicht zum stellvertretenden Betriebsrats-Vorsitzenden zu wählen. Einmal habe sich in Vorgesprächen zunächst ergeben, daß keines der gewählten Mitglieder der Gruppe der Arbeiter zu einer Kandidatur für den Stellvertreter des Betriebsratsvorsitzenden bereit sei.

Zum anderen sei der erstmals in den Betriebsrat gewählte Antragsteller noch nicht so erfahren und geschult, als daß er die vielfältigen Aufgaben eines stellvertretenden Betriebsrats-Vorsitzenden in … schon hätte übernehmen können. Zum dritten habe er mit 160 krankheitsbedingten Fehltagen und 36 Tagen Urlaub eine so hohe Abwesenheitsrate im Jahre 1989 gehabt, daß auch dies gegen seine sachgerechte Amtsausübung als Stellvertreter des Betriebsrats-Vorsitzenden sprechen müsse.

Wegen des sonstigen erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf den tatbestandlichen Teil des angefochtenen Beschlusses zugleich auch wegen der Einzelheiten der Antragstellung Bezug genommen (Bl. 30 und Bl. 31 d. A.).

Das Arbeitsgericht hat den Antrag aus den im einzelnen aus Bl. 31 bis Bl. 34 d. A. ersichtlichen Gründen, auf die ebenfalls Bezug genommen wird, zurückgewiesen.

Mit seiner hiergegen gerichteten Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein erstinstanzliches Verfahrensziel weiter. Er meint, das Arbeitsgericht habe schon deshalb unrichtig entschieden, weil es für den Betriebsrat keine einsichtigen und vernünftigen Gründe gegeben habe, von der gesetzlichen Sollvorschrift des § 26 Abs. 1 S. 2 BetrVG abzuweichen. Weder könne es darauf ankommen, daß ein Betriebsrats-Mitglied sich über eine längere Amtsausübung zum Stellvertreter des Betriebsrats-Vorsitzenden „hochdiene”, noch auf krankheitsbedingte Fehlzeiten.

Zu keinem Zeitpunkt habe es für ihn – entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts – eine negative Krankheitsprognose gesehen. Nach der fachärztlichen Bescheinigung des … vom 19. Oktober 1990 (Bl. 57 d. A.) bestünden...

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