Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu berücksichtigende Merkmale bei der Aussetzung nach § 148 ZPO. Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts hinsichtlich erstinstanzlicher Aussetzung
Leitsatz (amtlich)
Im Rahmen der Ermessensausübung bei der Entscheidung über eine Aussetzung iSv. § 148 ZPO sind mindestens zu berücksichtigen: das Beschleunigungsgebot, der Stand der beiden Verfahren, insbesondere des vorgreiflichen Rechtsstreits und dessen voraussichtliche Dauer und damit die voraussichtliche Dauer der Aussetzung, ebenso die Vorschriften zum Schutz vor überlanger Verfahrensdauer § 9 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, § 198 ff GVG, die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Klagepartei auch in jenem Rechtsstreit, ob bereits ein Urteil zu ihren Gunsten ergangen ist und wie gegebenenfalls die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels zu beurteilen sind, die wirtschaftliche Situation beider Parteien, die Notwendigkeit für die Klagepartei, ihre Ansprüche mit Hilfe eines gerichtlichen Titels durchsetzen zu müssen und das Verhalten der Klagepartei. Das Beschwerdegericht hat lediglich zu prüfen, ob das Arbeitsgericht den Ermessensspielraum überschritten hat oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Ist dies der Fall, so muss der angefochtene Beschluss über eine Aussetzung gemäß § 148 ZPO aufgehoben werden und die erforderlichen Anordnungen sind gemäß § 572 Abs. 3 ZPO dem Arbeitsgericht zu übertragen.
Normenkette
ZPO §§ 148, 572 Abs. 3, § 574 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 26.01.2021; Aktenzeichen 3 Ca 472/20) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 26. Januar 2021 - 3 Ca 472/20 - aufgehoben.
Die erforderliche Anordnung wird der Vorsitzenden der Kammer 3 des Arbeitsgericht Darmstadt übertragen.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Aussetzung eines Zahlungsprozesses.
Der Kläger war seit dem 1. November 2015 bei der Beklagten mit einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von € 5.270,46 als Freigabeingenieur für Steuerbetrieb beschäftigt. Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis am 30. August 2019 zum 30. September 2019 und am 27. September 2019 zum 31. Oktober 2019 gekündigt. Gegen die Beendigungswirkung dieser Kündigungen hat der Kläger vor dem Arbeitsgericht Darmstadt Kündigungsschutzklage erhoben, der das Arbeitsgericht mit dem Urteil vom 26. April 2020 stattgegeben hat. Die Beklagte hat gegen die Entscheidung vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt. Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen 15 Sa 806/20 geführt. Am 11. Mai 2021 wurde in diesem Verfahren das die Berufung der Beklagten zurückweisende Urteil verkündet. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Seit dem 4. September 2020 wird der Kläger von der Beklagten seit seiner Freistellung am 29. August 2019 prozessbeschäftigt zum Zwecke der Abwendung der Zwangsvollstreckung.
In dem vorliegenden Rechtsstreit verfolgt der Kläger mit der am 20. November 2020 bei dem Arbeitsgericht eingereichten und der Beklagten am 11. Januar 2021 zugestellten Klage Ansprüche auf Zahlung von Vergütung bei Annahmeverzug inklusive Weihnachtsgeld, Prämie und Urlaubsgeld abzüglich erhaltener Teilzahlungen nebst Zinsen aus der Zeit von Oktober 2019 bis - zuletzt - Februar 2021.
Mit Beschluss vom 26. Januar 2021 hat die Vorsitzende – nachdem den Parteien rechtliches Gehör gewährt worden ist – den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Kündigungsrechtsstreit - 10 Ca 255/19 - ausgesetzt (Bl. 88 d.A.). Die Gründe des Beschlusses lauten:
„Die Entscheidung über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ist vorgreiflich für die streitgegenständlichen Annahmeverzugsansprüche des Klägers. Bei der Entscheidung über die Aussetzung ist zu berücksichtigen, dass die Kündigungsschutzverfahren von einer anderen Kammer am Arbeitsgericht Darmstadt, nämlich der Kammer 10, erstinstanzlich entschieden wurden.“
Gegen diesen ihm am 16. Februar 2021 zugestellten Beschluss hat der Kläger mit einem am 11. Februar 2021 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt und diese begründet (Bl. 097 ff. d.A.). Das Arbeitsgericht Darmstadt hat durch Beschluss vom 21. April 2021, auf dessen Gründe Bezug genommen wird (Bl. 152 d.A.) der Beschwerde nicht abgeholfen.
Der Kläger vertritt die Auffassung, eine Aussetzung habe (jedenfalls noch) nicht erfolgen dürfen und es sei ihm vor dem Hintergrund des Beschleunigungsgrundsatzes auch nicht zuzumuten, auf eine Entscheidung über seine Zahlungsansprüche, die nicht nur solche nach den Grundsätzen des Annahmeverzuges seien, länger zu warten.
Die Beklagte verteidigt die Aussetzungsentscheidung.
II.
1. Die gemäß §§ 567, 252 ZPO, 78 ArbGG statthafte sofortige Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden.
2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Der angefochtene Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 26. Januar 2021 - 3 Ca 472/20 -...