Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsschließung. Massenentlassung. Kündigungsfrist
Leitsatz (amtlich)
Beendigung eines Arbeitsverhältnisses wegen Betriebsschließung, Regelbestand an Arbeitnehmern; Kündigungsfrist für Arbeiter (Anschluß an den Beschluß des LarbG Frankfurt vom 1.09.1983, 4 TaBV 9/83, DB 1984, 459–462, an das Urteil des LArbG Frankfurt vom 27.09.1984, 3 Sa 15 94/83 und an das Urteil des LArbG vom 21.12.1984, 3 Sa 684/84.
Normenkette
BGB §§ 613a, 622; KSchG §§ 1, 17; GG Art. 3
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Urteil vom 20.06.1984; Aktenzeichen 6 Ca 2408/84) |
Tenor
1) Die Berufung des Klägers gegen dasUrteil desArbeitsgerichts Wiesbaden vom20. Juni 1984 – 6 Ca 2408/84 – wird zurückgewiesen.
2) Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.
3) Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der jetzt 55 Jahre alte Kläger ist Buchdrucker. Er war bei der beklagten Firma seit dem 08. Juni 1965 als Offsetdrucker tätig. Sein Monatslohn belief sich zuletzt auf 2.825,55 DM brutto. Der Kläger ist verheiratet und hat ein ihm gegenüber unterhaltsberechtigtes Kind. Mit Schreiben vom 26. April 1984 (Bildabzug Bl. 3 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1984. Die Beklagte hat ihre Kündigung mit dem Vorliegen betrieblicher Erfordernisse begründet und in dem Kündigungsschreiben mitgeteilt, aus marktwirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Gründen sei ihr ein „Weitermachen” nicht möglich; sie beabsichtige, die Produktion endgültig auslaufen zu lassen, da sie außerstande sei, weitere Verluste zu verkraften.
Mit der am 10. Mai 1984 erhobenen Klage wendet sich der Kläger gegen die ihm am 27. April 1984 zugegangene Kündigung. Er hat vorgetragen, betriebsbedingte Gründe für seine Entlassung lägen nicht vor. Er habe bis zum Monat April 1984 (einschließlich) überstunden leisten müssen. Zu bestreiten sei ferner, daß die Beklagte ihre Produktion auslaufen lasse. Vielmehr sei ihr Betrieb bereits von Kaufinteressenten besichtigt worden. Da die Kündigung offensichtlich nur im Hinblick auf den Betriebsübergang ausgesprochen worden sei, ergebe sich ihre Unwirksamkeit aus § 613 a Absatz IV BGB. Außerdem habe es sich um einen Teilvorgang einer gemäß § 17 KSchG anzeigepflichtigen Entlassung von sechs Arbeitnehmern aus einer in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmer umfassenden Belegschaft gehandelt. Da die Beklagte dem Arbeitsamt keine Anzeige erstattet habe, sei die Kündigung unwirksam.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 26. April 1984, zugegangen am 27. April 1984, nicht aufgelöst wird,
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ausgeführt, die Vermutung des Klägers, ihr Betrieb werde fortgeführt, sei unzutreffend. Vielmehr werde ihr gesamtes Inventar versteigert. Ein Verkauf des Unternehmens mit den Rechtsfolgen aus § 613 a BGB sei daher ausgeschlossen. Die Personen, welche der Kläger für Kaufinteressenten gehalten habe, seien in Wirklichkeit Mitarbeiter des Versteigerers gewesen. Gegen die Anzeigepflicht nach § 17 KSchG habe sie nicht verstoßen, da bei ihr in der Regel nur 16 Arbeitnehmer beschäftigt worden seien.
Das Arbeitsgericht erhob Beweis durch Vernehmung der … des … des … des … und des … Die Bekundungen der Vernommenen wurden in der Niederschrift vom 20. Juni 1984 (Bl. 25 ff d.A.) festgehalten. Mit dem am 20. Juni 1984 verkündeten Urteil (Bl. 35 ff d.A.) wies das Arbeitsgericht die Klage kostenpflichtig ab und setzte den Wert des Streitgegenstandes auf 8,476,65 DM fest. Wegen der Darlegungen des Arbeitsgerichts wird auf den Inhalt des Urteils vom 20. Juni 1984 (Bl. 35 ff d.A.) Bezug genommen. Eine Urteilsausfertigung wurde dem Kläger am 09. Juli 1984 zugestellt.
Die Berufung des Klägers wurde am 08. August 1984 eingereicht. Durch Beschluß vom 05. September 1984 (Bl. 51 d.A.) wurde die Frist zur Begründung des Rechtsmittels bis zum 08. Oktober 1984 verlängert. Die Berufungsbegründung ging am 05. Oktober 1984 beim Landesarbeitsgericht ein.
Der Kläger meint, die ohne vorherige Anzeige an das Arbeitsamt ausgesprochene Kündigung sei gemäß § 18 Absatz I KSchG unwirksam. In dem angefochtenen Urteil habe das Arbeitsgericht Wiesbaden nicht ausdrücklich definiert, welcher Zeitraum für die Beantwortung der Frage nach der Beschäfigungszahl maßgeblich sei. Aus dem Zusammenhang der Ausführungen des Vordergerichts in dem Urteil vom 20. Juni 1984 lasse sich lediglich erkennen, daß dort wohl auf den Monat April 1984 abgestellt werde. Diese Auslegung des § 17 Absatz I KSchG finde jedoch im Gesetz keine Stütze, da dort lediglich davon gesprochen werde, daß „in der Regel mehr als 20” Arbeitnehmer beschäftigt werden müßten. Dabei komme es nicht auf die konkrete Arbeitnehmer zahl zu einem bestimmten Stichtag, sondern auf das normale Maß der Jahresbelegschaft bzw. auf die Beschäftigungszahl bei regelmäßigem Gang des Betriebes an. Zu Unrecht sei das Arbeitsgericht Wiesbaden zu dem Ergebnis gelangt, daß bei der Beklagten nur noch 19 Arbeitnehmer be...