Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitskampf. Grundsatz der Tarifeinheit. Koalitionsfreiheit. Friedenspflicht. Schlichtungsabkommen. Tarifgemeinschaft. Auflösung
Leitsatz (amtlich)
Der zur Auflösung einer Tarifkonkurrenz oder -pluralität vertretene Grundsatz der Tarifeinheit ist nicht geeignet, einen Streik um einen Tarifvertrag, der mit einem bereits von einer anderen Gewerkschaft abgeschlossenen Tarifvertrag in Tarifpluralität treten könnte, als unverhältnismäßig zu qualifizieren.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3; TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 25.04.2003; Aktenzeichen 7/8 Ga 110/03) |
Tenor
Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 25. April 2003 hinsichtlich der Verfügungsklägerinnen zu 2) bis 7) teilweise abgeändert.
Die einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main wird teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Der Verfügungsbeklagten wird für die Dauer der Laufzeit der ungekündigten Teile des Zulagentarifvertrages für die Arbeitnehmer der DB AG i.d.F. des 49. Änderungstarifvertrages untersagt, ihre Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer der jeweiligen Verfügungsklägerinnen zu 2) bis 7) zu Streiks aufzurufen, um den Abschluss eines Spartentarifvertrages für das Fahrpersonal im Schienenverkehr durchzusetzen.
Der Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Unterlassungspflicht ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von EUR 250.000,– (i.W.: zweihundertfünfzigtausend Euro), ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an dem Vorsitzenden ihres Hauptvorstandes, angedroht.
Die Zustellung der gerichtlichen Entscheidung wird auch zur Nachtzeit sowie an Sonn- und Feiertagen gestattet.
Insoweit bleibt die einstweilige Verfügung aufrecht erhalten.
Im Übrigen werden die Anträge der Verfügungsklägerinnen zu 2) bis 7) zurückgewiesen.
Hinsichtlich der Verfügungsklägerin zu 1) wird das arbeitsgerichtliche Urteil abgeändert und die einstweilige Verfügung aufgehoben. Ihre Anträge werden insgesamt zurückgewiesen.
Darüber hinaus wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Verfügungsklägerin zu 1) trägt die außergerichtlichen Kosten der Verfügungsbeklagten und die Gerichtskosten jeweils zu 1/7 und ihre eigenen außergerichtlichen Kosten selbst. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits tragen die Verfügungsbeklagte zu 2/3. die Verfügungsklägerinnen zu 2) bis 7) zu 1/3.
Tatbestand
Die Verfügungsklägerinnen sind Konzerngesellschaften der D. B. AG. Sie haben beim Arbeitsgericht eine einstweilige Verfügung gegen die Verfügungsbeklagte erwirkt. Der Organisationsbereich der Verfügungsbeklagten umfasst nach § 1 Ziff. 3 ihrer Satzung das Transport- und Verkehrswesen sowie bestimmte Dienstleistungsbetriebe. Bis zum 30. Juni 2002 bestand zwischen der Verfügungsbeklagten und der Gewerkschaft G. eine Tarifgemeinschaft, die zu diesem Zeitpunkt aufgelöst worden ist.
Der Organisationsgrad der Beschäftigten des DB Konzerns liegt bei 80 – 90 %. In der Verfügungsbeklagten sind 15-20 % der Mitarbeiter organisiert. Von etwa 160.000 Beschäftigten sind etwa 21.500 Lokführer, etwa zur Hälfte Beamte. Von den etwa 9.500 gewerkschaftlich organisierten Lokführern mit Arbeitnehmerstatus vertritt die Verfügungsbeklagte zwischen 66 und 75 %.
Die Tarifrunde 2003 führte am 15. März 2003 zu einer Einigung in Gestalt des 50. ÄnderungsTV mit den Gewerkschaften T. und G. auf der Grundlage des bisherigen KonzernETV. Der Geltungsbereich des Tarifabschlusses erfasst alle Arbeitnehmer einer Reihe von Konzerngesellschaften. Die Verfügungsbeklagte fordert für den Bereich der D. B. AG und ihrer Konzerngesellschaften den Abschluss eines „Spartentarifvertrages für das Fahrpersonal im Schienenverkehr”. Dieser hat die Arbeitsbedingungen des Fahrpersonals zum Gegenstand. Ein zweiter Entwurf wurde von der Verfügungsbeklagten am 4. April 2003 vorgelegt (SpartenTV 2).
Die Verfügungsbeklagte schloss – in Tarifgemeinschaft mit der G. – mit der DB AG einen Tarifvertrag zur Regelung der Jahresarbeitszeit (JazTV) ab. Dieser gilt über Verweisungstarifverträge auch für die einzelnen Konzerngesellschaften. Seine Bestimmungen der §§ 6, 7 Abs. 1, 9 in Verb. mit 11 Abs. 2 JazTV sind von der Tarifgemeinschaft bzw. der Verfügungsbeklagten selbst gekündigt worden. Darüber hinaus gilt der „Zulagentarifvertrag für die Arbeitnehmer der DB AG” (ZTV). Insoweit hat die Verfügungsbeklagte den 49. ÄnderungsTV abgeschlossen.
Gegenüber der Verfügungsklägerin zu 1) hat die Verfügungsbeklagte den Verweisungstarifvertrag gekündigt.
Es besteht ein Schlichtungsabkommen, auf das Bezug genommen wird. Die nach Durchführung der Schlichtung wieder aufgenommenen Tarifverhandlungen scheiterten am 11. April 2003. Daraufhin kündigte die Verfügungsbeklagte an, Arbeitskampfmaßnahmen durchführen zu wollen.
Die Verfügungsklägerinnen sind der Auffassung gewesen, ein Streik um den geforderten Tarifvertrag sei unverhältnismäßig. Nach dem Grundsatz der Tarifeinheit müsse d...