Entscheidungsstichwort (Thema)

Gebäudehebung als bauliche Leistung und Tätigkeit i.S.d. Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bauliche Leistungen i.S.d. Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe umfassen alle Arbeiten, die - wenn auch nur auf einem kleinen und speziellen Gebiet - der Errichtung und Vollendung von Bauwerken dienen oder deren Instandsetzung, Instandhaltung oder Änderung zu dienen bestimmt sind, damit diese in vollem Umfang ihre bestimmungsgemäßen Zwecke erfüllen können.

2. Tätigkeiten sind baulich geprägt, wenn sie sich mit Werkstoffen des Baugewerbes und mit baugewerblichen Arbeitsmitteln und Gerätschaften und Arbeitsmethoden des Baugewerbes vollziehen.

3. Die Hebung von Häusern und Gebäudeteilen zu Sanierungszwecken, zur Beseitigung von Schieflagen sowie zur Schaffung zusätzlichen Raums durch Einsatz computergesteuerter hydraulischer Hubanlagen sowie die damit im Zusammenhang stehenden Hilfsarbeiten wie Ausschachtungsarbeiten und Transport von Material und Gerätschaften sind bauliche Leistungen und Tätigkeiten.

 

Normenkette

VTV § 1 Abs. 2 Abschn. II; SokaSiG § 7 Abs. 7 Anl. 32

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 22.08.2018; Aktenzeichen 7 Ca 1215/17)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 08.12.2021; Aktenzeichen 10 AZR 411/19)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 22. August 2018 - 7 Ca 1215/17 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Beiträgen an die Sozialkassen des Baugewerbes.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes berechtigt und verpflichtet.

Der Beklagte, der den tarifschließenden Verbänden des Baugewerbes nicht mitgliedschaftlich verbunden ist, unterhielt in den Kalenderjahren 2010 bis 2013 einen Betrieb, der im Internet unter dem Namen "A" auftrat. Gemäß seiner dortigen Darstellung ist sein Betrieb auf Haushebungen, Gebäudehorizontierungen und Pfahlgründungen spezialisiert. Für die Durchführung der Hebungen werden Hubanlagen aufgestellt. Nach der Vornahme eines horizontalen Schnitts durch das Gebäude wird die Hebung computergesteuert und bei kontinuierlicher Überwachung in Schritten von max. 2 mm vorgenommen. Sobald die Hydraulikzylinder auf 18 cm ausgefahren sind, werden Keile in die Hubspalte gestellt und angespannt. Sodann können die Zylinder wieder eingefahren werden und es erfolgt eine Ergänzung durch Klotzmaterial, bis die gewünschte Höhe erreicht ist. Während des gesamten Vorgangs kommt es zu keinerlei Eingriffen in die Substanz des Gebäudes, beispielsweise durch Löcher oder Verschraubungen. Nach der Hebung wird die Hubanlage ersatzlos abgebaut.

Der Kläger begehrt mit seiner durch Zustellung des Mahnbescheides am 05. November 2013 rechtshängig gemachten Klage auf Grundlage der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) von dem Beklagten die Zahlung von Beiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer während des Zeitraums von Dezember 2011 bis Juni 2013 i.H.v. insgesamt 11.764,98 EUR und für Angestellte während des Zeitraums von Januar 2010 bis Juni 2013 i.H.v. insgesamt 4.705,- EUR. Der Beitragsberechnung legt er hinsichtlich der gewerblichen Arbeitnehmer gemeldete Beiträge zugrunde, hinsichtlich der Angestellten den tarifvertraglichen Beitragssatz nach dem VTV.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei zur Beitragszahlung verpflichtet. Er hat gemeint, das Heben von Häusern, Gebäudeteilen und insbesondere von Dachstühlen falle unter dem betrieblichen Geltungsbereich von § 1 Abs. 2 Abschnitt II VTV. Diesbezüglich beruft er sich auf das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 07. Oktober 2015 (18 Sa 53/15) betreffend die Beitragspflicht des Beklagten für den Zeitraum von Juli 2013 bis Mai 2014.

Der Kläger hat behauptet, die Arbeitnehmer des Beklagten hätten in dem streitgegenständlichen Zeitraum zu mehr als 50 % ihrer persönlichen Arbeitszeit und auch zu mehr als 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit folgende Tätigkeiten ausgeübt:

  1. Hebung von Häusern und Gebäudeteilen zu Sanierungszwecken, z.B. bei eindringender Feuchtigkeit im Fundament durch hochstehendes Grundwasser, zur Beseitigung von Schieflagen sowie zur Schaffung zusätzlichen Raums durch Einsatz computergesteuerter hydraulischer Hubanlagen;
  2. (Nach-) Fundamentierungen durch Einsatz sogenannter Bohr- und Presspfähle zum Zwecke der Sanierung bzw. Befestigung des Baugrundes;
  3. damit im Zusammenhang stehende Hilfsarbeiten, wie Ausschachtungsarbeiten und Transport von Material und Gerätschaften;
  4. Überwachung und Anleitung von Arbeitnehmern beauftragter Subunternehmer.

Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 16.469,98 EUR an ihn zu verurteilen.

Der Beklagte hat die...

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