Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahlungsanspruch eines Bewerbers auf Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und wegen Schwerbehinderung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die einmalige Anrede der klagenden Partei als "Sehr geehrte(r) Frau/Herr XX" bildet im Rahmen der Gesamtbetrachtung kein Indiz für die Benachteiligung der klagenden Partei nach dem § 7 AGG. 2. Es stellt keinen Verstoß gegen § 165 Satz 3 SGB IX dar, wenn der Arbeitgeber nachdem er rechtzeitig zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte und die klagende Partei ohne Angabe von Verhinderungsgründen dieses Vorstellungsgepräch abgesagt hatte, keinen Ersatztermin anbietet.
Normenkette
AGG § 15 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Gießen (Entscheidung vom 19.05.2020; Aktenzeichen 9 Ca 8/20) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 19. Mai 2020 - 9 Ca 8/20 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die klagende Partei verlangt die Zahlung einer Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und / oder wegen Schwerbehinderung.
Bei der Beklagten sind im Jahr 2019 insgesamt 202 Stellenbesetzungsverfahren durchgeführt worden. Daran haben jeweils neben der Personalverwaltung und der Leitung des betreffenden Fachdienstes, in dem die Stelle zu besetzen war, der Personalrat, die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte sowie ggfl. die Schwerbehindertenvertretung, teilgenommen.
In der Ausländerbehörde der Beklagten hat in der zweiten Jahreshälfte 2019 die Wartezeit für terminierte Vorsprachen bei Fallmanager# innen im Aufenthaltsrecht bei 7 Monaten gelegen. Diese lange Wartezeit hat die Beklagte als nicht mehr tolerabel eingestuft und deshalb online eine Stelle in ihrer Ausländerbehörde ausgeschrieben. In der Stellenausschreibung heißt es auszugsweise:
"Fallmanager# innen im Aufenthaltsrecht
Wir, die A, suchen Sie zum nächstmöglichen Zeitpunkt für unseren Fachdienst 31 - Ausländerbehörde - als Fallmanager# innen im Aufenthaltsrecht. Von den drei Vollzeitstellen (...) zu besetzen
Ihr Profil:
Sie verfügen über eine abgeschlossene Ausbildung zum*zur Dipl.-Verwaltungswirt*in, Bachelor of Arts (Public Administration) oder zum*zur Verwaltungswirt*in (...)
Unser Selbstverständnis:
...
Schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber (bitte Nachweis beifügen) werden bei gleicher Eignung und Qualifikation im Rahmen der geltenden gesetzlichen Bestimmungen bevorzugt behandelt. (...)"
Wegen der weiteren Einzelheiten der Ausschreibung wird auf die Anlage K1, Bl. 21 d. A. Bezug genommen.
Zugleich ist die Stelle auch im Online-Stellenportal der Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht gewesen, wegen des Inhalts der dortigen Veröffentlichung wird auf die Anlage 3, Bl. 313f der Akte verwiesen.
Die klagende Partei ist zweigeschlechtlich geboren. Sie ist schwerbehindert. Sie hat sich, wie in der Ausschreibung gefordert, mit E-Mail vom 16. September 2019 unter Hinweis auf die bestehende Schwerbehinderung und Zweigeschlechtlichkeit auf die ausgeschriebene Stelle beworben. Gleichzeitig hat sie für den weiteren Verlauf des Auswahlverfahrens um die Anrede "Sehr geehrte* Herm B" gebeten und erläutert, dass Herm als Abkürzung für die ersten vier Buchstaben von Hermaphrodit stehe, wegen der Einzelheiten der Schreiben wird auf die Anlagen K3 und K4, Bl. 26f der Akte Bezug genommen.
Mit E-Mail vom 04. November 2019 hat die Beklagte die klagende Partei zu einem Vorstellungsgespräch am Montag, den 18. November 2019 um 12:30 Uhr eingeladen. Als Anrede im Einladungsschreiben hat die Beklagte die Formulierung "Sehr geehrte(r) Frau/Herr B," gewählt. Im weiteren Schreiben heißt es u.A.:
"Sofern Sie diesen Termin nicht wahrnehmen können, bitten wir um kurze telefonische Nachricht unter der o.a. Rufnummer. Sollten wir hingegen nichts von Ihnen hören, gehen wir davon aus, Sie zum genannten Termin begrüßen zu dürfen.
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir mögliche Kosten, die Ihnen bei der Wahrnehmung des Vorstellungsgesprächs in unserem Hause entstehen, leider nicht übernehmen können." Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K3, Bl. 28 der Akte verwiesen.
Mit E-Mail vom 06. November 2019 hat die klagende Partei der Beklagten mitgeteilt, dass sie am Montag, den 18. November 2019 schon einen anderen Termin in Brandenburg habe, weshalb sie "sehr höflich um einen Ersatztermin bitte", wegen der Einzelheiten des Schreibens wird auf die Anlage K6, Bl. 30 der Akte Bezug genommen. Hierauf hat die Beklagte mit E-Mail vom 07. November 2019 und unter Verwendung der Anrede "Sehr geehrte Herm B" mitgeteilt, dass kein Ersatztermin eingeräumt werden könne, weil die Auswahlkommission aufgrund anderer Termin zeitnah nicht zusammenkommen könnte. Falls die klagende Partei den Termin doch noch einrichten könne, würde sich die Beklagte sehr freuen, wegen der Details des Schreibens wird auf die An...