Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigungserklärungsfrist. Wirksamkeit einer außerordentlichen, fristlosen Verdachtskündigung

 

Leitsatz (amtlich)

Auch bei einer Verdachtskündigung darf der Arbeitgeber den Ausgang des Strafverfahrens abwarten. Hält er einen bestimmten Kenntnisstand für ausreichend, um eine Kündigung wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung auszusprechen, muss er binnen zwei Wochen kündigen.

Hat der Arbeitgeber während des Ermittlungsverfahrens schon eine Verdachtskündigung ausgesprochen, ist für eine weitere Verdachtskündigung aus Anlass der Anklageerhebung kein Raum. In diesem Fall bleibt dem Arbeitgeber nur noch die Möglichkeit, eine Tatkündigung auszusprechen, sobald die Voraussetzungen hierfür vorliegen.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 06.03.2008; Aktenzeichen 19 Ca 9432/06)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 27.01.2011; Aktenzeichen 2 AZR 825/09)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 06. März 2008 – 19 Ca 9432/06 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, fristlosen Verdachtskündigung.

Der Kläger ist am 13. Juni 1961 geboren. Er war bei der beklagten Stadt seit dem 01. September 1989 als Orchestermusiker (zweiter Hornist) in den Städtischen Bühnen zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt EUR 4.580,79 beschäftigt. Gemäß § 4 des Arbeitsvertrags der Parteien bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach den tarifvertraglichen Vorschriften für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) in der jeweils gültigen Fassung. In den tariflichen Bestimmungen des TVK ist festgelegt, dass Arbeitnehmer, die das 40. Lebensjahr vollendet und eine Beschäftigungszeit von mehr als 15 Jahren zurückgelegt haben, ordentlich unkündbar sind. Der Betrieb der Städtischen Bühnen ging mit Wirkung zum 01. September 2004 auf die Städtische Bühnen A GmbH über. Der Kläger widersprach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte wies daraufhin den Kläger, wie auch die übrigen Mitarbeiter, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprochen hatten, aufgrund eines mit der Städtische Bühnen A GmbH abgeschlossenen Personalgestellungsvertrag dieser zur Dienstausübung zu. Im Februar 2005 fand eine Betriebsratswahl statt, die auf der Annahme beruhte, es gebe einen gemeinsamen Betrieb Städtische Bühnen, der von der Beklagten und der Städtische Bühnen A GmbH gemeinsam geführt werde; nach dem Wahlausschreiben stand den von der Beklagten gestellten Arbeitnehmer das aktive und passive Wahlrecht zu, sie wurden auch bei der Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder berücksichtigt. Im Wahlanfechtungsverfahren ist der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Wahl rechtskräftig abgewiesen worden. Mit Beschluss vom 19. Februar 2009 – 9 TaBV 202/08 – hat das Hessische Landesarbeitsgericht die Betriebsratswahl für ungültig erklärt; die Entscheidung ist damit begründet, dass kein gemeinsamer Betrieb bestehe. Gegen diese Entscheidung ist Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.

Der Kläger war mit dem ebenfalls bei der Beklagten beschäftigten Orchestermusiker B C befreundet. Herr C hat zwei Töchter, und zwar die am 04. Mai 1990 geborene D E und die am 06. Oktober 1994 geborene F C. Während der Besuche des Klägers im Haus der Familie C/Ein den Jahren 1995 bzw. 1996 fasste der Kläger der damals 5 bzw. 6 Jahre alten D E in deren Zimmer mit der Hand an Scheide und Po, wobei er sie dort streichelte und massierte. Nach der Trennung des Paares C/E besuchte der Kläger in den Jahren 2002 und 2003 Frau E, die mit den Kindern in G lebte. Bei einem dieser Besuche fasste der Kläger der damals acht- bzw. neunjährigen F C ebenfalls an Scheide und Po. Im Winter 2003 machte der Kläger Aktfotos von der damals 13-jährigen D E in Unterwäsche. Am 22. September 2004 erstattete Frau E Strafanzeige gegen den Kläger. Daraufhin wurde gegen den Kläger bei der Staatsanwaltschaft Offenbach ein Ermittlungsverfahren wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und des Besitzes pornographischer Schriften eingeleitet. Gegenstand des Ermittlungsverfahrens war auch der Vorwurf, dass der Kläger 1994 die damals 11 Jahre alte H I sexuell missbraucht habe. Am 20. Oktober 2004 wurde die Beklagte durch Herrn C über die Vorwürfe, die Gegenstand des Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger waren, informiert. In einem Gespräch mit den Mitgliedern „Horn-Gruppe” am 22. November 2004 teilte der Orchestermusiker J mit, dass sich der Kläger seinem Sohn unsittlich genähert habe und dass ein strafrechtliches Verfahren gegen Zahlung eines Bußgeldes eingestellt worden sei. Herr J und andere Mitglieder der „Horn-Gruppe” erklärten, mit dem Kläger wegen dieser Vorwürfe nicht mehr zusammenarbeiten zu können. Am 13. Dezember 2004 fand ein Anhörungsgespräch statt, in dem der Kläger die Vorwürfe bestritt. Am 14. Dezember 2004 wurde der Kläger von der Arbeitsleistung freigestellt. Mit Schreiben vom 23. Dezem...

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