Entscheidungsstichwort (Thema)
Führungsverhalten einer Kindergartenleiterin. Vertragsverstoß. mangelnde Eignung. außerordentliche Druckkündigung. Einzelfall einer betriebsbedingten außerordentlichen Druckkündigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Verweigung der Zusammenarbeit durch Kolleginnen kann die außerordentliche, betriebsbedingte Druckkündigung einer Kindergartenleiterin unter Wahrung einer sozialen Auslauffrist rechtfertigen.
2. Unterschiedliche Auffassungen über das Führungsverhalten einer Arbeitnehmerin als Kindergartenleiterin gegenüber den Mitarbeiterinnen und ihr Verhalten den Kindern und Eltern gegenüber stellen noch keine Vertragsverletzung dar.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Wetzlar (Urteil vom 21.01.2009; Aktenzeichen 2 Ca 83/08) |
Nachgehend
BAG (Beschluss vom 22.04.2010; Aktenzeichen 2 AZN 36/10) |
BAG (Aktenzeichen 2 AZR 298/10) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wetzlar vom 21. Januar 2009 – 2 Ca 83/08 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten nicht vor dem 30. September 2008 aufgelöst worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin zu 70 v. H., der Beklagten zu 30 v. H. auferlegt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten auch im Berufungsverfahren noch um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, vorsorglich mit Auslauffrist ausgesprochenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien durch die Beklagte sowie einen Anspruch der Klägerin auf tatsächliche Beschäftigung.
Die am 14. Februar 1957 geborene Klägerin ist verheiratet und noch zwei erwachsenen, in Ausbildung befindlichen Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Seit dem 01. Februar 1983 war sie auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 26. Oktober 1983 (AV, Bl. 37 und 38 d. A.) in dem von der Beklagten in Braunfels betriebenen Kindergarten als „Erzieherin (Kindergartenleiterin)” beschäftigt, zuletzt mit einem Beschäftigungsumfang von 80 v.H. einer vollbeschäftigten Angestellten, mit einer Vergütung nach Vergütungsgruppe IV b BAT in Höhe von EUR 2.630,52 brutto. § 5 AV lautet:
„Das Arbeitsverhältnis regelt sich nach der Arbeitsvertragsordnung der Diözese Limburg in ihrer jeweils gültigen Fassung. Die Arbeitsvertragsordnung ist wesentlicher Bestandteil dieses Vertrages. Soweit spezielle Dienstordnungen o. Ä. für bestimmte Berufsgruppen bestehen, sind diese ebenfalls Bestandteil des Arbeitsvertrages. Der Arbeitnehmer bestätigt ausdrücklich, dass die ihm zurzeit des Vertragsabschlusses geltenden Fassungen einschließlich etwaiger Nachträge bekannt sind.”
§ 36 Arbeitsvertragsordnung (AVO) hat folgenden Wortlaut:
„§ 36 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
(1) Das Arbeitsverhältnis der auf unbestimmte Zeit Beschäftigten kann von beiden Vertragspartnern nach vorheriger schriftlicher Kündigung gelöst werden ….
(2) Die Kündigungsfrist beträgt bei einer Beschäftigungszeit
…
nach mehr als 12 Jahren 6 Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres…
bei einer Beschäftigungsdauer von mehr als 15 Jahren ist das Arbeitsverhältnis unkündbar, es sei denn, dass ein wichtiger Grund zur Kündigung vorliegt.
…
(5) Eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch außerordentliche Kündigung ist nur aus wichtigem Grund gem. § 626 BGB möglich, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Ein derartiger wichtiger Grund wird in der Regel insbesondere dann vorliegen, wenn die oder der Beschäftigte ihre oder seine Anstellung durch falsche Angaben oder durch Verschweigen wichtiger Umstände erschlichen hat, oder wenn sie oder er sich eines groben Verstoßes gegen kirchliche Grundsätze schuldig gemacht hat …. Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt ….
(6) Bei dem Beschäftigten ist davon auszugehen, dass demselben eine Lebensstellung gegeben wird. Kündigungen sollen daher eine Ausnahme bilden. Gründe und Umstände, die hierzu führen können, sind gewissenhaft zu prüfen.”
Die Kindertagesstätte hatte zuletzt zwei Gruppen. Die Klägerin erkrankte im Oktober 2005 und war bis Anfang Februar 2007 deshalb arbeitsunfähig. Wegen der Erkrankung und deren Auswirkungen wurde sie am 30. November 2005 mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 und am 25. Januar 2007 mit einem GdB von 60 als schwerbehindert anerkannt. Ob und wann den kündigungsberechtigten Personen der Beklagten die Behinderung bekannt geworden ist, ist zwischen den Parteien streitig geblieb...