Entscheidungsstichwort (Thema)

Einzelfall einer rechtswirksamen betriebsbedingten Kündigung nach Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG: kein Erordernis der Gruppenbezogenheit bei Sozialauswahl

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Es ist nicht grob fehlerhaft, in der Sozialauswahl auf eine Gruppendifferenzierung innerhalb der gewerblichen Arbeitnehmer zu verzichten.

2. Im Rahmen der Sozialauswahl und eines entsprechenden Punkteschemas bleibt dem Arbeitgeber ein Beurteilungsspielraum.

3. Liegen die Sozialdaten bzw. die Sozialpunkte relativ nah beieinander, muss der Arbeitgeber nicht notwendigerweise den Arbeitnehmer mit der größeren Sozialpunktzahl von der Kündigung ausnehmen.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2 Sätze 1, 4, Abs. 5 S. 1, Abs. 3 S. 1, Abs. 5 Sätze 3, 2; AGG §§ 1, 10; KSchG § 1 Abs. 3 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Kassel (Urteil vom 30.04.2008; Aktenzeichen 8 Ca 382/07)

 

Nachgehend

BAG (Entscheidung vom 09.02.2011; Aktenzeichen 2 AZR 33/10)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 30. April 2008 – 8 Ca 382/07 – abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung sowie über die Weiterbeschäftigung des Klägers.

Der am 25. Mai 1965 geborene Kläger war seit dem 19. Juni 2000 bei der Beklagten als Reparaturschlosser/Industriemechaniker zu einer durchschnittlichen monatlichen Bruttovergütung in Höhe von EUR 2.800,00 beschäftigt. Die Beklagte ist ein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, welches automatische Türsysteme für Straßen- und Schienenfahrzeuge produziert und am Stichtag 30. September 2007 569 Arbeitnehmer beschäftigte. Im Betrieb der Beklagten besteht ein Betriebsrat.

Am 15. Oktober 2007 schloss die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat einen Interessenausgleich. In diesem Interessenausgleich ist zur Reduzierung der Personalüberhänge und zur Anpassung des Personalstandes an die längerfristig erwartete Auftragssituation der Abbau von 65 Stellen vorgesehen. Im Hinblick auf die soziale Auswahl einigten sich die Beklagte und der Betriebsrat auf ein Punkteschema, wegen dessen Inhalt auf die Anlage 1 zum Interessenausgleich (Bl. 38 d. A.) Bezug genommen wird. Um die Altersstruktur im Betrieb zu sichern, wurden gemäß Ziffer 4. f. des Interessenausgleichs im Rahmen der Sozialauswahl vier Altersgruppen nämlich bis zum vollendeten 29. Lebensjahr, bis zum vollendeten 39. Lebensjahr, bis zum vollendeten 49. Lebensjahr und bis zum vollendeten 59. Lebensjahr und älter gebildet. Die Betriebsparteien vereinbarten, dass innerhalb der Altersgruppen die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer mit der geringsten Punktzahl entsprechend dem Verhältnis der Arbeitnehmer in der jeweiligen Altersgruppe zur Anzahl der gewerblichen Arbeitnehmer insgesamt gekündigt werden sollen. Gemäß Ziffer 4. e. des Interessenausgleichs definierten Arbeitgeber und Betriebsrat die betrieblich notwendigen Arbeitnehmer, die von der Sozialauswahl ausgenommen werden. Darüber hinaus vereinbarten die Betriebsparteien im Interessenausgleich die Erstellung einer Liste der zu entlassenden Arbeitnehmer. Wegen des gesamten Inhalts des Interessenausgleichs wird auf Bl. 7 – 11 d. A. Bezug genommen.

Am 25. Oktober 2007 unterzeichneten die Beklagte und der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende eine Anlage 2 zum Interessenausgleich, welche die Namensliste der zu entlassenden Arbeitnehmer enthält und entsprechend den Vorgaben des Interessenausgleichs – Punkteschema zur Sozialauswahl und Altersgruppenbildung – erstellt wurde. In dieser Anlage ist u. a. festgehalten, dass Arbeitgeber und Betriebsrat die Sozialauswahl gemeinsam durchgeführt haben und die Namensliste die individuell durchzuführenden Anhörungen des Betriebsrats zu den Entlassungen ersetzt. Der Name des Klägers befindet sich auf dieser Liste. Wegen des gesamten Inhalts dieser Anlage wird auf Bl. 12 – 13 d. A. Bezug genommen.

Im Rahmen der Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen erhielt der Betriebsrat von der Beklagten eine Liste aller gewerblichen Arbeitnehmer mit den entsprechenden Sozialdaten; wegen des Inhalts dieser Liste wird auf die Anlage B 14 zum Schriftsatz der Beklagten vom 18. Januar 2008 (Bl. 71 – 78 d. A.) Bezug genommen. Der Betriebsrat erhielt darüber hinaus eine Liste zur Sozialauswahl nach Punkten, in welcher diejenigen Arbeitnehmer einschließlich der Angabe der jeweils erreichten Sozialpunkte aufgeführt sind, die aus der Sozialauswahl wegen berechtigter betrieblicher Interessen herausgenommen wurden. Hinsichtlich der Altersgruppe des Klägers der 40 – 49-jährigen wird insoweit auf Bl. 80 d. A. Bezug genommen; die dort aufgeführten Arbeitnehmer weisen zwischen 43 bis 80 Sozialpunkte auf. Der Kläger hat 79 Sozialpunkte.

Mit Schreiben vom 26. Oktober 2007, dem Kläger spätestens am 27. Oktober 2007 zugegangen, kündigte die Beklagte das mit d...

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