Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung wegen Zweifel an attestierter Arbeitsunfähigkeit. Auslegung § 21a MTV Hessischer Rundfunk
Leitsatz (redaktionell)
Der Arbeitgeber ist bei erheblichen Leistungs- oder Verhaltensmängeln des Arbeitnehmers berechtigt, die Stufensteigerung nach § 21a MTV HR auszusetzen, auch wenn den Mängeln kein Verschulden zu Grunde liegt.
Orientierungssatz
1. Mögliche Zweifel am Bestehen der dem Arbeitnehmer attestierten Arbeitsunfähigkeit stellen keinen begründeten Anlass für eine betriebsärztliche Untersuchung im Sinne des § 8 Abs 6 S 1 des Manteltarifvertrages für den Hessischen Rundfunk in der Fassung vom 23.02.2005 (MTV HR) dar. Auslegung § 21a MTV Hessischer Rundfunk.
2. Die Auslegung des § 21a MTV HR ergibt, dass der Arbeitgeber befugt ist, im Falle von erheblichen Leistungs- oder Verhaltensmängeln die Stufensteigerung befristet auszusetzen, ohne dass die Mängel dem betroffenen Arbeitnehmer vorwerfbar sein müssen (- siehe dazu Urteil des BAG vom 24.11.2011 - 2 AZR 429/10).
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; TVG § 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 23.01.2008; Aktenzeichen 22 Ca 10267/04) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 23. Januar 2008 – 22 Ca 10267/04 – unter Zurückweisung der Berufungen im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlich erklärten Kündigung der Beklagten, hilfsweise eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses des Klägers auf Antrag der Beklagten, Entgeltansprüche des Klägers aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs nebst Ansprüchen auf Erteilung von Abrechnungen, die Weiterbeschäftigung des Klägers, Ansprüche des Klägers auf Entfernung einer Abmahnung und eines weiteren Schreibens aus seiner Personalakte, einen Schmerzensgeldanspruch des Klägers, einen Stufenaufstieg des Klägers nebst Ansprüchen auf Nachzahlung der Differenzbeträge und einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von noch 23 Urlaubstagen für das Urlaubsjahr 2006, hilfsweise Zahlung von Schadensersatz.
Der am 19. September 1971 geborene, verheiratete Kläger, der seit 25. Mai 2005 Vater eines unterhaltsberechtigten Kindes ist, war seit dem 1. Dezember 2001 bei der Beklagten zunächst zur Aushilfe, ab 1. Januar 2002 als in der Elektronik tätiger „Betriebstechniker Energietechnik/Betriebstechnik” beschäftigt. Auf den schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien vom 21. Dezember 2001 (Bl. 79/79 R d. A.) mit dem Zusatzschreiben zum Arbeitsvertrag vom 21. Dezember 2001 (Bl. 80, 81 d. A.) wird verwiesen. Nach dem von beiden Parteien unterzeichneten Zusatzschreiben findet auf das Arbeitsverhältnis ua. der Manteltarifvertrag des A (MTV A) in der jeweiligen Fassung Anwendung.
Wegen des unstreitigen Sachverhalts im Übrigen sowie des streitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (Bl. 658 – 714 d. A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat durch Urteil vom 23. Januar 2008 festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 23. Mai 2006 weder fristlos noch ordentlich aufgelöst worden ist, das Arbeitsverhältnis auf den Auflösungsantrag der Beklagten gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von EUR 10.440,00 brutto zum 30. September 2006 aufgelöst, die Beklagte zur Zahlung von Annahmeverzugsentgelt bis einschließlich September 2006, jedoch ohne Berücksichtigung des von dem Kläger begehrten Stufenaufstiegs, sowie Erteilung entsprechender Abrechnung verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es – kurz zusammengefasst – ausgeführt, die Beteiligung des örtlichen Personalrats gemäß §§ 78 Abs. 2, 77 Abs. 1 Ziffer 2 i HPVG sei zwar ordnungsgemäß erfolgt, die Kündigung vom 23. Mai 2006 sei aber sozialwidrig. Die Weigerung des Klägers, sich entsprechend der Aufforderung im Schreiben der Beklagten vom 14. Februar 2006 betriebsärztlich untersuchen zu lassen, stelle keine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten durch den Kläger dar. Die Beklagte sei auch unter Berücksichtigung von § 8 Abs. 6 MTV HR nicht berechtigt gewesen, den Kläger betriebsärztlich zum Zweck der Klärung der Fragestellung untersuchen zu lassen, ob trotz der aktuell durch einen Neurologen/Psychiater attestierten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit die Arbeitsfähigkeit des Klägers grundsätzlich nicht durch neurologische/psychische Störungen beeinträchtigt gewesen sei. Die dem Kläger alternativ mit Schreiben vom 14. Februar 2006 gesetzte Frist bis zum 16. Februar 2006, den ihn behandelnden Neurologen/Psychiater begrenzt auf die genannte medizinische Fragestellung von der ärztlichen Schweigepflicht gegenüber der Betriebsärztin und diese w...