Entscheidungsstichwort (Thema)
Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte. außerordentliche Kündigung wegen Abzeichnung eines Abfertigungsdokuments ohne Kontrolle und wegen vom Auftraggeber erteiltem Hausverbot. Verzugslohnanspruch
Orientierungssatz
1. Wird in einem Abmahnungsschreiben der Vorwurf erhoben, der Arbeitnehmer sei einer Anweisung nicht nachgekommen, auf Sauberkeit und Ordnung auf der Arbeitsfläche zu achten, ist damit allein für den Arbeitnehmer als Empfänger der Abmahnungen schon nicht erkennbar, welche konkreten Beanstandungen der Arbeitgeber überhaupt erhebt und worin die konkret gerügten Pflichtverletzungen überhaupt bestehen sollen. Weder lässt sich aus den Abmahnungsschreiben entnehmen, aufgrund welcher Umstände die Sauberkeit und/oder die Ordnung auf der Arbeitsfläche beeinträchtigt gewesen sei, noch lässt sich aus den Abmahnungsschreiben erkennen, aufgrund welcher Umstände ein derartiger Zustand auf welches Verhalten des Arbeitnehmers zurückzuführen sei und worin seine konkrete Pflichtverletzungen liegen sollen. Die Abmahnung ist daher aus der Personalakte zu entfernen.
2. Zur Wirksamkeit einer außerordentlichen und vorsorglich ordentlichen Kündigung wegen Abzeichnung eines Abfertigungsdokuments ohne Kontrolle der ordnungsgemäßen Palettierung einer Frachtsendung und wegen einem durch den Auftraggeber erteilten Hausverbots für den Arbeitnehmer.
3. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung seiner Vergütung ist nicht ausgeschlossen, weil es ihm wegen fehlender Zugangsberechtigung zum Arbeitsplatz nicht möglich war, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Ein vom Arbeitnehmer nicht zu vertretendes Hausverbot durch den Auftraggeber, in dessen Räumen die einzige vom Arbeitnehmer wahrzunehmende Beschäftigungsmöglichkeit besteht, ist nach den durch die sog. Betriebsrisikolehre entwickelten Grundsätzen dem Risikobereich des Arbeitgebers zuzuordnen, dementsprechend bleibt der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers unter Annahmeverzugsgesichtspunkten und trotz Leistungshindernisses bestehen.
Normenkette
BGB § 611 Abs. 1, § 314 Abs. 2, § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2; BGB §§ 615, 1004
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 11.06.2008; Aktenzeichen 14 Ca 460/08) |
Nachgehend
BAG (Entscheidung vom 17.08.2009; Aktenzeichen 2 AZR 478/09) |
BAG (Entscheidung vom 12.08.2009; Aktenzeichen 5 AZN 628/09) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers und unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 11. Juni 2008, Az.: 14 Ca 460/08, teilweise abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 08. Januar 2008 noch durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung der Beklagten vom 08. Januar 2008 zum nächstmöglichen Termin beendet wurde.
Die Beklagte wird verurteilt, die dem Kläger mit Schreiben vom 29. Oktober 2007 und 28. November 2007 erteilten Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.617,08 EUR (in Worten: Zwölftausendsechshundertsiebzehn und 08/100 Euro) brutto abzüglich 795,90 EUR (in Worten: Siebenhundertfünfundneunzig und 90/100 Euro) brutto und 5.042,40 EUR (in Worten: Fünftausend-zweiundvierzig und 40/100 Euro) netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.358,37 EUR (in Worten: Zweitausenddreihundertachtundfünfzig und 37/100 Euro) seit 01. Februar 2008, aus 3.154,27 EUR (in Worten: Dreitausendeinhundertvierundfünfzig und 27/100 Euro) seit 01. März 2008, aus 3.154,27 EUR (in Worten: Dreitausendeinhundertvierundfünfzig und 27/100 Euro) seit dem 01. April 2008 und aus 3.154,27 EUR (in Worten: Dreitausendeinhundertvierundfünfzig und 27/100 Euro) seit dem 01. Mai 2008 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Monate Januar 2008 bis April 2008 Gehaltsabrechnungen zu erteilen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zu 4/5 und der Kläger zu 1/5.
Soweit die Beklagte zu Zahlung verurteilt wird, wird die Revision für die Beklagte zugelassen.
Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten auch im Berufungsrechtszug über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, um Weiterbeschäftigung, Entfernung von Abmahnungen aus der Personalakte und Zahlungsansprüche sowie Erteilung von Lohnabrechnungen.
Die Beklagte, die mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, führt auf dem Rhein-Main-Flughafen in A Luftfrachtabfertigungsdienste für die B (in der Folge: B) durch. Es werden dabei u. a. Luftfrachtsendungen zusammengestellt (palettiert) und dann auf die verschiedenen Luftfahrzeuge geladen. Werden solche Frachtsendungen von der Beklagten nicht ordnungsgemäß zusammengestellt oder kommt es in anderer Form zu Beanstandungen oder Verspätungen, ist die Beklagte aufgrund der mit der B getroffenen Vereinbarungen verpflichtet, an diese einen pauschalierten Schadensersatz (sog. Maluszahlun...