Entscheidungsstichwort (Thema)

Abmahnung. Annahmeverzug. Betriebsrisiko. Verdachtskündigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Mit dem Ausspruch einer Abmahnung wird regelmäßig auch dann auf eine Kündigung aus den Gründen der Abmahnung verzichtet, wenn der Abmahnende schon abmahnt, bevor er genau informiert ist und erst nach Ausspruch der Abmahnung vom „wahren Ausmaß” der abgemahnten Vertragsverletzungen erfährt.

2. Verwehrt der Auftraggeber und Vertragspartner des Arbeitgebers, der auf dem Gelände des Auftraggebers seinen Betrieb unterhält, einem Arbeitnehmer den Zutritt, so fällt dies in die Risikosphäre des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer kann trotz dieses Leistungshindernisse Annahmeverzugslohn geltend machen (Betriebsrisikolehre).

 

Normenkette

BGB § 615 S. 3, § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 16.08.2010; Aktenzeichen 19/5 Ca 8318/08)

 

Nachgehend

BAG (Aktenzeichen 9 AZN 578/11)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 16. August 2010 – 19/5 Ca 8318/08 – teilweise abgeändert.

Der Antrag, den Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigungsschutzklage als Monteur weiterzubeschäftigen, wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Von den erstinstanzlich angefallenen Kosten haben der Kläger 36 %, die Beklagte 64 % zu tragen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 9 %, die Beklagte 91 % zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im zweiten Rechtszug um die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses, um die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte des Klägers, um Weiterbeschäftigung und um Verzugslohn nebst Zinsen.

Die Beklagte repariert und wartet Luftfahrtgeräteteile, und zwar zum Teil in einem Betrieb in A, zum Teil in einer Betriebsstätte auf dem Gelände des B. In dieser werden sogenannte Flugzeug-Trolleys (d. h. Rollwagen, in denen die für die Fluggäste zu verteilenden Genuss- bzw. Lebensmittel während eines Fluges aufbewahrt werden) gewartet und repariert (im Folgenden: Trolley-Werkstatt). Der Zutritt zu dieser Räumlichkeit setzt eine Zugangsberechtigung und einen Flughafenausweis voraus. Beides wird von der Auftraggeberin der Beklagten, der C vergeben. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer.

Der am 12. Oktober 1949 geborene, verheiratete Kläger ist bei der Beklagten seit 03. August 2004 als Monteur beschäftigt, und zwar auf der Grundlage eines am selben Tag abgeschlossenen Arbeitsvertrages (Bl. 36 f d. A.). Bis zum 15. Oktober 2008 wurde er von der Beklagten ausschließlich in der Trolley-Werkstatt auf dem Flughafengelände eingesetzt.

Am 15. Oktober 2008, als der Kläger sich im Dienst befand, führte der Werkschutz der C morgens eine Kontrolle der Trolley-Werkstatt durch. Im Laufe dieser Durchsuchung kam der Vorarbeiter des Klägers hinzu. Die weiteren Umstände dieser Durchsuchung sind streitig. Danach jedenfalls durchsuchten die Werkschutzmitarbeiter der C den PKW des Klägers nach Gegenständen aus dem Eigentum der C. Man fand 20 D-Zahnstocher im Aschenbecher, 3 D-Kugelschreiber im Handschuhfach und 3 D-Stoffservietten unter Fahrer- und Beifahrersitz. Dem Kläger wurde vom Werkschutz ein vorläufiges Hausverbot erteilt. Sein Flughafenausweis wurde eingezogen.

Am selben Tag wurde die Geschäftsführerin der Beklagten telefonisch vom Werkschutz über die durchgeführte Durchsuchung informiert. Daraufhin fand am Nachmittag des 15. Oktober 2008 ein Personalgespräch statt, an dem neben dem Kläger und der Geschäftsführerin der Beklagten u. a. auch sämtliche weiteren Mitarbeiter der Beklagten teilnahmen, die in der Trolley-Werkstatt beschäftigt waren. Die Einzelheiten dieses Gesprächs sind zwischen den Parteien streitig. Im Anschluss dieses Gesprächs wurde ein Protokoll gefertigt (Bl. 163 d. A.) und der Kläger von der Beklagten freigestellt.

Am 18. Oktober 2008 fand einer Begehung der Trolley-Werkstatt durch die Geschäftsführerin der Beklagten und Vertreter der C statt, um zu überprüfen, wer Zugang zu der Werkstatt hatte.

Am 22. Oktober 2008 führte der Kläger ein Gespräch mit seinem Vorgesetzten und dem Betriebsleiter zum Thema Weiterbeschäftigung. Am Folgetag, dem 23. Oktober 2008 erhielt der Kläger einen Anruf seines Vorarbeiters, der ihn dazu aufforderte, in dem Betrieb in Kelsterbach seine Arbeitsleistung zu erbringen. Dieser Aufforderung kam der Kläger bis 05. November 2008 nach. Beim ersten Erscheinen am Arbeitsort wurde ihm eine Abmahnung ausgehändigt, welche sich auf den Vorfall vom 15. Oktober 2008 bezog. Die Abmahnung hatte folgenden Wortlaut:

Abmahnung

Sehr geehrter Herr E,

am 15.10.2008 wurden in der eps-Werkstatt im Gebäude von LSG-Gateway Garden, eine Durchsuchung der Konzernsicherheit durchgeführt. Dabei wurden verschiedene Genussmittel und anderes Eigentum des C gefunden, welches offensichtlich aus Trolleys entwendet wurde und in der Werkstatt deponiert war (lt. ...

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