Entscheidungsstichwort (Thema)
Grobe Beleidigungen. wichtiger Grund. Einzelfall einer erfolgreichen Kündigungsschutzklage gegen eine fristlose Kündigung, die auf Beleidigungen des Vorgesetzten gestützt wird. Außerordentliche Kündigung. Beleidigung des Vorgesetzten. Wahrnehmung berechtigter Interessen
Leitsatz (redaktionell)
1. Wendet sich der Arbeitnehmer in einem Schreiben gegen die Vorwürfe in Abmahnungen und verlangt er deren Entfernung aus der Personalakte, weil er den drohenden Entzug seiner Leitungsfunktionen abwenden und seinem Vorgesetzten dessen aus seiner Sicht ungerechtes Verhalten vor Augen führen will, macht er dadurch lediglich von dem in § 84 Abs. 1 BetrVG ihm eingeräumten Recht Gebrauch.
2. Sind demnach feindselige oder bösartige Motive nicht feststellbar, kann von einer die außerordentliche Kündigung rechtfertigenden groben Beleidigung nicht gesprochen werden.
Normenkette
BGB §§ 626, 626 Abs. 1; StGB §§ 185, 193
Verfahrensgang
ArbG Marburg (Entscheidung vom 23.09.2010; Aktenzeichen 3 Ca 93/10) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung ihres weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg vom 23. September 2010 - 3 Ca 93/10 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlos ausgesprochene Kündigung der Beklagten vom 30. April 2010 nicht aufgelöst worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin 40 %, die Beklagte 60 % zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beklagte ist ein Unternehmen, welches Seniorenheime unter anderem in A und B betreibt. Sie beschäftigt zirka 270 Arbeitnehmer, die von dem gebildeten Betriebsrat repräsentiert werden. Die am 24. Juli 1956 geborene Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 14. September 1981, zuletzt als leitende Hauswirtschafterin in B mit einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 2.240 Euro beschäftigt. Sie leidet seit einigen Jahren an multipler Sklerose und weist einen Grad der Behinderung von 50 auf.
Anfang des Jahres 2005 hatte die Klägerin noch die Position der Küchenleiterin im Seniorenheim in A inne. Zum 01. April 2005 fand eine Umorganisation statt, die zu einer Zentralküche für die beiden Seniorenheime in A führte. Die Küchenleitung wurde der Mitarbeiterin C übertragen. In B wurde nur noch eine Kaltküche betrieben, deren Leitung die Klägerin erhielt. Am 04. März 2005 schlossen die Parteien eine Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag vom 01. März 1994 in der die Klägerin einer tariflichen Rückgruppierung um eine Gehaltsgruppe zustimmte. Wegen des weiteren Inhalts der Zusatzvereinbarung sowie des Arbeitsvertrages vom 01. März 1994 wird auf die Kopien Blatt 20 bis Blatt 22 der Akten Bezug genommen. In der Folgezeit kam es zwischen den Parteien mehrfach zu Kritikgesprächen. Am 23. Februar 2007 erhielt die Klägerin eine Ermahnung, wegen deren Inhalt auf die Kopie Blatt 173 der Akten Bezug genommen wird. Es folgten am 21. Juli 2009 und am 30. Juli 2009 zwei weitere Abmahnungen, wegen deren Inhalt auf Blatt 199 und Blatt 200 der Akten verwiesen wird. Die Rechtmäßigkeit der Abmahnungen ist zwischen den Parteien streitig. Am 29. Januar 2010 fand ein Gespräch statt, in dem der Geschäftsführer der Beklagten der Klägerin in Aussicht stellte, vom Ausspruch zwei weiterer Abmahnungen abzusehen, wenn sie bereit sei, einen Änderungsvertrag abzuschließen und auf ihre Leitungsfunktion zu verzichten. Dies lehnte die Klägerin ab, woraufhin sie Bedenkzeit bis zum 01. Februar 2010 erhielt. An diesem Tag wiederholte die Klägerin ihre ablehnende Haltung und erhielt daraufhin die weiteren Abmahnungen. Wegen deren Inhalt wird auf die Kopien Blatt 204 und Blatt 294 der Akten Bezug genommen. Die Berechtigung dieser Abmahnungen ist zwischen den Parteien ebenfalls streitig. In den Folgemonaten Februar und März 2010 wurde von der Heimleiterin D gegenüber der Klägerin mindestens ein- bis zweimal sinngemäß erklärt, sie - die Klägerin - tue sich doch persönlich und gesundheitlich keinen Gefallen, sich weiterhin in ihrer Funktion als Küchenleiterin zu überfordern. Inwieweit die Klägerin häufiger angesprochen und sogar bedrängt worden ist, die Küchenleitung aufzugeben, ist zwischen den Parteien streitig. Auf das Gespräch mit dem Geschäftsführer am 17.03.2010 reagierte die Klägerin mit dem Schreiben vom 19. März 2010. In ihm wird unter anderem Folgendes ausgeführt:
"VON IHNEN BETRIEBENE KÜNDIGUNG DES ARBEITSVERTRAGES - HERABSTUFUNG NUMMER ZWEI VON BAT VII AUF BMT-GW??
Unsere Unterredung am 17.März 2010, 14:00 - 14.30 Uhr
......Ich habe der Herabstufung vor fünf Jahren mit vielen unguten Gefühlen und der inneren Gewissheit zugestimmt, dass mein Opfer ein sehr einsames für meinen Kreisverband bleiben wird. Aber ich habe es auch in der Hoffnung getan, ein bemerkenswertes, respektvolles Beispiel abgegeben zu haben und künftig nicht noch weiter, jedenfalls nicht unberechtigt, attackiert zu werden.
Diese Hoffnung w...