Entscheidungsstichwort (Thema)
Inhaltskontrolle einer Vergütungsvereinbarung. Lohnwucher. Auslegung einer Änderungsvereinbarung. Anspruch des Arbeitnehmers auf höhere Vergütung wegen Lohnwuchers
Leitsatz (redaktionell)
1. a) Nach § 138 Abs. 2 BGB liegt ein wucherähnliches Rechtsgeschäft vor, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen (objektiver Tatbestand) und weitere sittenwidrige Umstände wie eine verwerfliche Gesinnung des durch den Vertrag objektiv Begünstigten (subjektiver Tatbestand) hinzutreten.
b) Das auffällige Missverhältnis bestimmt sich nach dem objektiven Wert der Leistung des Arbeitnehmers, wobei Ausgangspunkt hierbei in der Regel die Tarifentgelte des jeweiligen Wirtschaftszweigs sind, da sie den objektiven Wert der Arbeitsleistung ausdrücken, wenn sie in dem betreffenden Wirtschaftgebiet üblicherweise gezahlt werden.
c) Von der Üblichkeit der Tarifvergütung kann ohne weiteres ausgegangen werden, wenn mehr als 50 % der Arbeitgeber eines Wirtschaftgebiets tarifgebunden sind oder wenn die organisierten Arbeitgeber mehr als 50 % der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebiets beschäftigen.
d) Die maßgebliche Grenze für die Bestimmung des auffälligen Missverhältnisses ist dann erreicht, wenn die tatsächliche Vergütung unterhalb von 2/3 des Tarifentgelts liegt.
2. a) Auch eine Änderungsvereinbarung ist der Inhaltskontrolle gem. § 305 Abs. 1 BGB unterworfen.
b) Sie ist jedenfalls dann nicht intransparent (§ 307 Abs 1 Satz 2 BGB), wenn der Arbeitnehmer die Höhe seiner monatlichen Vergütung nachvollziehen und überprüfen kann.
c) Sie ist auch nicht überraschend (§ 305c Abs. 1 BGB), da im Bereich des Handels und Verkaufs die Zahlung einer variablen, vom Erfolg abhängigen Vergütung, auch als überwiegende Vergütung, schon immer üblich gewesen ist, was nicht nur für den freien Handelsvertreter, sondern auch für den Handlungsgehilfen oder sonstige im Handel und Verkauf tätigen Arbeitnehmer gilt.
Normenkette
BGB § 138 Abs. 2, § 307 Abs. 3, § 612
Verfahrensgang
ArbG Kassel (Entscheidung vom 18.01.2012; Aktenzeichen 8 Ca 321/11) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 18. Januar 2012, Az.: 8 Ca 321/11, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Anspruch des Klägers auf eine höhere Vergütung aus dem Gesichtspunkt des Lohnwuchers.
Die Beklagte betreibt einen Teppichhandel mit zahlreichen Filialen in ganz A. Der Kläger, gelernter Einzelhandelskaufmann, ist bei ihr seit dem 01.10.1990 in der Filiale B beschäftigt, zunächst als Verkäufer, seit dem 01.01.2000 als Leiter der Filiale. Als Vergütung für die Filialleitung vereinbarten die Parteien zunächst ein monatliches Fixgehalt von DM 3.500,-- brutto (später € 1.789,--) zuzüglich einer Umsatzbeteiligung auf den Nettoumsatz von 7,5 ___AMPX_‰_SEMIKOLONX___X (Bl. 7 d.A.). Die Umsatzbeteiligung wurde zum 01.10.2004 auf 8,4 ___AMPX_‰_SEMIKOLONX___X angehoben (Bl. 51 d.A.). Der Kläger ist in einer 40- Stunden-Woche tätig.
Am 09.05.2005 schlossen die Parteien auf Veranlassung der Beklagten eine handschriftliche Änderungsvereinbarung (Bl. 52 d.A.). Mit dieser wurde das monatliche Grundgehalt auf € 500,-- reduziert und als erfolgsabhängiger Gehaltsbestandteil eine Beteiligung am Rohgewinn I der Filiale von 2,83 % vereinbart. Urlaub und Weihnachtsgeld sollten im üblichen Rahmen weiter gezahlt werden (Bl. 52 d.A.). Rohgewinn ist grundsätzlich die Differenz zwischen Umsatz und Waren-/Materialeinsatz. Der Rohgewinn I bemisst sich nach dem Bruttoumsatz abzüglich Mehrwertsteuer und abzüglich Einkaufspreis der Ware ohne Vorsteuer.
Auf der Grundlage dieser Änderungsvereinbarung erzielte der Kläger im Jahre 2008 eine Jahresvergütung von € 33.147,84, im Jahre 2009 € 31.599,84, im Jahre 2010 € 26.939,84 und im Jahre 2011 bis einschließlich Oktober € 21.445,-- brutto. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 16.08. 2011 (Bl. 13 d.A.) forderte der Kläger eine höhere Vergütung für die Zeit von 01/2008 - 08/2011 in Höhe von € 40.252,--, weil er die Vereinbarung vom 09.05.2005 für unwirksam hält und meint, ihm stehe ein Anspruch auf die übliche - und zwar tarifliche - Vergütung zu. Den Betrag errechnete er aus einer Gegenüberstellung des bezogenen Gehalts mit dem zu zahlenden Gehalt nach der Gehaltsgruppe IV, Gehaltsstaffel B zuzüglich der Sonderzahlungen nach dem Entgelttarifvertrag für den C Einzelhandel. Nach Ablehnung jeglicher Zahlung durch die Beklagte hat er die vorliegende Klage eingereicht, nunmehr für die Gehaltsdifferenzen von 01/2008 bis 10/2011 in Höhe von € 45.077,72 brutto.
Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhalts, des streitigen Vorbringens, der Rechtsansichten beider Parteien sowie der in erster Instanz gestellten Anträge wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen (Bl. 83 - 85 d.A.).
Das Arbeitsgericht Kassel hat mit Urteil vom 18.01.2012 - Az. 8 Ca 321/11 - die Klag...