Entscheidungsstichwort (Thema)
Ankündigung einer Arbeitsunfähigkeit bei objektiv bestehendem Grundleiden
Leitsatz (amtlich)
Stellt ein Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber für den Fall der Zuweisung bestimmter, vom Arbeitsvertrag gedeckter Tätigkeiten eine Arbeitsunfähigkeit in Aussicht, so kann darin eine unzulässige Druckausübung auf den Arbeitgeber und damit ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot aus § 241 Abs. 2 BGB liegen.
Dies gilt aber nicht, wenn der Arbeitnehmer zur Zeit der Ankündigung bereits arbeitsunfähig erkrankt war und insoweit überobligatorisch zur Arbeit erschien. Gleiches hat zu gelten, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt seiner Ankündigung zwar noch nicht arbeitsunfähig war, er aber an einem Grundleiden litt und deshalb davon ausgehen durfte, dass sich sein Leiden bei Erledigung der ihm zugewiesenen Tätigkeiten verschlimmert.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1, § 241 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Urteil vom 02.06.2010; Aktenzeichen 3 Ca 563/10) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 2. Juni 2010 – 3 Ca 563/10 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer durch die Beklagte ausgesprochenen außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung.
Der am A geborene und verheiratete Kläger ist gegenüber vier Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 06. November 1997, bezüglich dessen Einzelheiten auf Bl. 3 – 4 d.A. verwiesen wird, war er ab dem 23. Oktober 1997 bei der Beklagten als Stadtangestellter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis kam kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) vom 31. Januar 1962 und nunmehr der TVöD-VKA zur Anwendung. Das Bruttomonatsgehalt belief sich zuletzt auf 2.761,44 EUR.
Das Arbeitsverhältnis verlief nicht störungsfrei. 1998 erhielt der Kläger eine Abmahnung wegen unentschuldigtem Fernbleiben von der Arbeit, im Jahre 2000 erhielt er eine Abmahnung wegen unentschuldigtem Fernbleiben von der Arbeit sowie Verletzung der Anzeigepflicht bei Arbeitsunfähigkeit. Im Jahre 2004 erhielt er eine Abmahnung wegen Verletzung der Anzeige und Nachweispflicht bei Arbeitsunfähigkeit.
Er war zuletzt, seit dem 01. August 2007, bei dem Hauptamt der Beklagten als mitarbeitender B eingesetzt. Diese Stelle war bei der Poststelle angesiedelt. Wesentliche Aufgabe des Klägers war es, von der Poststelle des C der Beklagten aus Touren zu fahren, um Post zu verteilen. Hierbei konnten die Fahrer zu drei verschiedenen Touren eingeteilt werden. Die erste Tour „D” wurde immer mit einem zusätzlichen Beifahrer durchgeführt, dieser musste an vielen Adressen nur kurz halten und Post einsammeln bzw. abgeben. Seine Tätigkeit als mitarbeitender Kraftfahrer bestand zu ca. 70 bis 80 Prozent aus Fahrertätigkeit. Es kam aber auch des Öfteren vor, dass er als Beifahrer eingesetzt war und die Post abholen bzw. einsammeln musste. Ansonsten bestand seine Tätigkeit darin, bei der Sortierung der angelieferten Post innerhalb der Poststelle zu helfen. Dabei fielen das Sortieren des Postein- und Ausganges an, die Betätigung der Frankiermaschine, die Fertigstellung der Paketpost, das Vorbereiten der Einschreibsendungen und gelegentlich auch Botengänge.
Im September 2009 legte der Kläger ein ärztliches Attest datierend vom 15. September 2009 vor. In dem Attest war folgende Diagnose aufgeführt: „Chronische Lumboischialgie bei NPP L 4/5”. Um eine Verschlimmerung zu verhindern, sollten aus medizinischer und sozialmedizinischer Sicht das Heben, Tragen und Bewegen von schweren Lasten sowie längere Zwangshaltungen vermieden werden. Eine leichte Tätigkeit mit wechselnder Körperhaltung wurde empfohlen. Bezüglich der Einzelheiten dieses ärztlichen Attestes wird verwiesen auf Bl. 95 d.A.
Die Beklagte sah sich vor diesem Hintergrund veranlasst, eine arbeitsmedizinische Untersuchung des Klägers in Auftrag zu geben. Sie erteilte ihrem betriebsärztlichen Dienst bei der E (E) unter dem 30. September 2009 einen Untersuchungsauftrag, in dem insbesondere um Stellungnahme gebeten wurde, ob der Kläger für die Tätigkeit als mitarbeitender Kraftfahrer gesundheitlich geeinigt sei (Bl. 96 d.A.). Die betriebsärztliche Untersuchung erfolgte am 12. Oktober 2009. Unter dem 19. Oktober 2009 kam der betriebsärztliche Dienst zu dem Ergebnis, dass gegen den Einsatz des Klägers als mitarbeitender Kraftfahrer aus betriebsärztlicher Sicht keine gesundheitlichen Bedenken unter den Voraussetzungen bestünden, dass er nicht schwer über 10 KG heben dürfe und ein Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen gewährleistet sei. Bezüglich des Hebens und Tragens von Postkisten sei auf einer ergonomischen Haltung beim Tragen zu achten. Der betriebsärztliche Dienst sah ferner eine Wiedervorstellung innerhalb von drei Monaten beim Augenarzt und zu einem erneuten Sehtest vor.
Das Untersuchungsergebnis wurde mit dem Kläger am 13....