Entscheidungsstichwort (Thema)

Betrieblicher Geltungsbereich des VTV Baugewerbe. Trocknungs- und Trockenbauarbeiten als bauliche Leistungen i.S.d. VTV Baugewerbe. "Sowohl-als-auch-Tätigkeiten" auf der Baustelle. Abgrenzung von Malerbetrieben von Baubetrieben. Keine Berücksichtigung der Innungsmitgliedschaft beim betrieblichen Geltungsbereich des VTV Baugewerbe. Beginn der Verjährungsfrist des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Betrieb, der überwiegend Trocknungs-, Trockenbau-, Abbruch- und Fliesenarbeiten erbringt, erfüllt die Voraussetzungen der Rückausnahme nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 6 VTV, weil alle diese Tätigkeiten in § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV genannt sind.

2. Was ein „Baubetrieb“ i.S.d. § 1 Ziff. 2 Abs. 4 RTV-Maler ist, bestimmt sich nach den einschlägigen Tarifverträgen im Baugewerbe. Ein Betrieb, der die Anforderungen nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 6 VTV zugunsten von Malerbetrieben nicht erfüllt, wird auch nicht - vorbehaltlich der Sonderregeln in § 1 Ziff. 2 Abs. 5 bis 7 RTV-Maler, von den Malertarifverträgen erfasst. Auf eine Innungsmitgliedschaft in der Malerinnung kommt es dann nicht (mehr) an.

3. Trocknungsarbeiten werden durch § 1 Ziff. 2 RTV-Maler nicht erfasst.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der betriebliche Geltungsbereich des VTV hängt davon ab, ob in dem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die unter den Sammelbegriff "bauliche Leistungen" fallen. Für die Beurteilung der Frage, ob in einem Betrieb überwiegend bauliche Leistungen sowie dazugehörende Nebenleistungen erbracht werden, ist auf die überwiegende Arbeitszeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer in einem Kalenderjahr abzustellen.

2. Führen Arbeitnehmer Tätigkeiten aus, die sowohl baulicher Natur als auch einem der ausgenommenen Gewerke des § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV zuzuordnen sind, kommt es darauf an, welches Gepräge diese „Sowohl-als-auch-Tätigkeiten“ dem Betrieb geben. Entscheidend ist in erster Linie der Charakter der überwiegend ausgeführten Tätigkeiten. Die Abgrenzung richtet sich insbesondere danach, ob die „Sowohl-als-auch-Tätigkeiten“ von Fachleuten des ausgenommenen Gewerks angeleitet und verrichtet werden.

3. Für den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist kommt es – neben dem Entstehen des Anspruchs – nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB darauf an, dass der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB geforderte Kenntnis des Gläubigers ist vorhanden, wenn er aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte Person eine Klage – sei es auch nur eine Feststellungsklage – erheben kann.

 

Normenkette

VTV SOKA Bau § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 6; AVE-Einschränkung Teil I Abs. 4 Nr. 1; RTV-Maler § 1 Nr. 2; BGB § 199; TVG § 5 Abs. 4 S. 1; ZPO § 138 Abs. 2; BaubetriebeVO § 1 Abs. 2; MalerLackAusbV § 4 Abs. 6 Nr. 3 Abschn. E Nr. 3 (2021)

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 24.08.2022; Aktenzeichen 6 Ca 163/21 SK)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 24. August 2022 – 6 Ca 163/21 SK – wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 64.553,91 EUR (in Worten: Vierundsechzigtausendfünfhundertdreiundfünfzig und 91/100 Euro) zu zahlen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 38 % und die Beklagte 62 % zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Beiträgen zu dem Sozialkassenverfahren im Baugewerbe.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Auf der Grundlage des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) nimmt er die Beklagte nach Verbindung von vier Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung auf Zahlung von Beiträgen in Höhe von zuletzt 226.170,20 Euro in Anspruch. Dabei handelt es sich um Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer in dem Zeitraum Dezember 2015 bis August 2018 sowie für Angestellte in dem Zeitraum Dezember 2016 bis Dezember 2017.

Der Kläger berechnete seine Beitragsforderung für die gewerblichen Arbeitnehmer ursprünglich auf der Grundlage statistischer Durchschnittslöhne und legte dabei zu Grunde, dass pro Monat mindestens 15 gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt waren. Auf Grundlage der Mindestbeitragsklage hat der Kläger ursprünglich einen Betrag in Höhe von 364.489,50 Euro geltend gemacht. Im Laufe des Prozesses hat der Kläger nach Meldungen und Anrechnungen die Klageforderung auf 226.170,20 Euro reduziert. In einer Übersicht setzt sich die Klageforderung wie folgt zusammen:

gew. AN

Angest.

MIB-Klage

Reduktion aufgrund Meldungen bzw. Anrechnung auf

6 Ca 165/21 SK

Dez 2015 bis Juli 2017 (15)

212.445

118.186,77

6 Ca 164/21 SK

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