Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahlung von Beiträgen zum Sozialkassenverfahren Bau für ein Unternehmen der Bestandspflege von Immobilien Dritter. Facilitymanagement als Tätigkeit im Baugewerbe. Einordnung von Mischbetrieben. Zuordnung von Reparaturtätigkeiten für Baugewerbe unabhängig einer Geringfügigkeitsschwelle
Leitsatz (amtlich)
1. Tätigkeiten, die im Rahmen von sog. „Facilitymanagement“ bei der Renovierung von Wohnungen bei einem Mieterwechsel erbracht werden, unterfallen grundsätzlich § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV. Die Norm des § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV ist nicht in der Weise einschränkend auszulegen, dass sie „Kleinreparaturen“ nicht erfassen will. Erfasst werden z.B. auch „kleinere Reparaturen an Schlössern, Schaltern und Lampen“ (Anschluss an BAG 27. März 2019 - 10 AZR 512/17 - Rn. 24, NZA 2019, 1508). Eine Geringfügigkeitsschwelle ist dem Wortlaut nicht zu entnehmen.
2. Die in § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV genannten Arbeiten sind nicht zusammenzurechnen. Ein Betrieb, der arbeitszeitlich betrachtet überwiegend z.B. Maler-, Schreiner-, Sanitär- und Elektroinstallationsarbeiten erbringt, ist ein „Mischbetrieb“, der dem VTV unterfällt. Er wird aber weder nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 6 oder Nr. 11 VTV noch nach der Nr. 12 VTV ausgenommen, wenn nicht mehr als 50 % der Arbeitszeit in nur einem der Bereiche erbracht worden ist. Eine andere Betrachtung ist auch nicht unter verfassungsrechtlichen Aspekten im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 GG oder Art. 3 Abs. 1 GG geboten.
Die Einschränkung der AVE des VTV vom 7. Mai 2019, die in Abs. 4 Nr. 7 eine Vermutungswirkung zugunsten von Betrieben enthält, die zum Stichtag 30. Juni 2014 unmittelbares oder mittelbares Mitglied des Zentralverbands der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke waren, ist nicht auf Beiträge anwendbar, die vor Inkrafttreten der AVE am 1. Januar 2019 entstanden sind.
Normenkette
VTV SOKA Bau § 1 Abs. 2 Abschn. II und Abschn. VII; AVE-Einschränkung zum VTV SOKA Bau Abs. 4 Nr. 7 Fassung: 2019-05-07; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; SokaSiG §§ 7, 10 Abs. 1; BUrlG § 13 Abs. 2; ZPO § 91 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 17.03.2021; Aktenzeichen 11 Ca 1022/18 SK) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 17. März 2021 – 11 Ca 1022/18 SK – abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.729.217,00 EUR (in Worten: Dreimillionensiebenhundertneunundzwanzigtausendzweihundertsiebzehn und 0/100 Euro) zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, Beiträge zum Sozialkassenverfahren im Baugewerbe zu zahlen.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Auf der Grundlage des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), der in der Vergangenheit regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, i.V.m. dem Sozialkassenverfahrenssicherungsgesetz (SokaSiG) nimmt er die Beklagte auf Zahlung von Beiträgen in Höhe von 3.729.217 Euro in Anspruch. Dabei handelt es sich um Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte in dem Zeitraum Dezember 2013 bis Dezember 2015. Der Kläger berechnete seine Beitragsforderung für die gewerblichen Arbeitnehmer auf der Grundlage statistischer Durchschnittslöhne und hat dabei zugrunde gelegt, dass zwischen 145 und 213 gewerbliche Arbeitnehmer monatlich (im Dezember nur 112) beschäftigt waren. Bei den Angestellten hat er zugrunde gelegt, dass zwischen 147 und 288 Angestellte beschäftigt waren. Der Beitrag für Dezember 2015 ist durch Beschluss des Arbeitsgerichts vom 17. Februar 2021 hinzuverbunden worden (Bl. 374 der Akte).
Die Agentur für Arbeit A hat mit Bescheid vom 28. Mai 2018 (Bl. 30 f. der Akte) festgestellt, dass im Betrieb die ganzjährige Beschäftigung nicht gefördert werden kann.
Die Beklagte war ausweislich der Innungsbestätigung in der Zeit vom 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2016 Mitglied der Innung für elektro- und informationstechnische Handwerke in B (Anl. LLR146 Bl. 362 der Akte).
Die Beklagte ist ein Unternehmen, deren Gegenstand die Bestandspflege von Immobilien Dritter ist. Kunden der Beklagten sind Unternehmen, die eine Vielzahl von Wohnungen zur Miete gewerblich anmieten. In diesem Rahmen erbringt sie im Auftrag der Eigentümer Renovierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen in Bezug auf bestehende Wohneinheiten, das betrifft Instandhaltungsmaßnahmen bei laufenden Mietverhältnisse, aber auch Renovierungsmaßnahmen bei einem Mieterwechsel. Gegenüber den Kunden wird pauschal abgerechnet. Die Mieter des Eigentümers setzen sich direkt mit der Beklagten in Verbindung. Die Beklagte spricht von „Facilitymanagementdienstleistungen“.
Sie beschäftigte eine Vielzahl von gelernten Fachkräften aus dem Bereich Heizungsbau und Sanitärarbeiten, aber auch aus anderen Bereich wie Maler- und Lackiererhandwerk etc.
Im Betrieb der Beklagten sind im streitgegenständliche...