Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweiserhebungsverbot. heimliche Spinddurchsuchung. Verdachtskündigung. Anhörung des Betriebsrats. Pflicht zur Anhörung des Betriebsrats bei einer Verdachtskündigung. Verwertbarkeit der Ergebnisse einer heimlichen Durchsuchung des Spinds des Arbeitnehmers
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat ein Arbeitgeber den Betriebsrat gem. § 102 Abs. 1 BetrVG nur zu einer Tatkündigung angehört, nicht aber zu einer Verdachtskündigung, kann er im Kündigungsrechtsstreit nicht geltend machen, dass die Kündigung als Verdachtskündigung gerechtfertigt sei. Er ist mit diesem Vorbringen präkludiert.
2. Die Ergebnisse einer heimlich durchgeführten Kontrolle des Spinds des betroffenen Arbeitnehmers dürfen zur Rechtfertigung einer Tatkündigung nicht verwertet werden.
Normenkette
BGB § 626; GG Art. 1 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Offenbach am Main (Entscheidung vom 21.09.2011; Aktenzeichen 4 Ca 113/11) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 21. September 2011 - 4 Ca 113/11 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, welche hilfsweise auch als ordentliche Kündigung erklärt wurde. Der Arbeitgeber beschuldigt den Arbeitnehmer Ware gestohlen zu haben.
Die Beklagte betreibt Cash & Carry-Märkte. Der am XX.XX.19XX geborene, verheiratete und gegenüber zwei Kindern zu Unterhalt verpflichtete Kläger ist bei der Beklagten seit 01. August 1994 in deren Großhandelsmarkt in A als Verkaufsmitarbeiter in der Getränkeabteilung gegen einen durchschnittliches Bruttomonatsentgelt von zuletzt 2.200,00 € beschäftigt. In dem Betrieb der Beklagten in A ist ein Betriebsrat gebildet.
Ein schriftlicher Arbeitsvertrag ist nicht zu den Akten gereicht worden.
Der Kläger arbeitete am 04. März 2011 in der Spätschicht (15:00 bis 22:00 Uhr). Während der Schicht des Klägers öffnete der Geschäftsleiter B der Beklagten in Anwesenheit des Betriebsratsmitglieds C heimlich das verschlossene Spind des Klägers und durchsuchte dieses. Zum Ende der Arbeitszeit des Klägers wollte der Geschäftsleiter B den Kläger im Beisein von zwei Betriebsratsmitgliedern kontrollieren. Hierzu kam es nicht. Der Kläger behauptet, er habe nicht bemerkt, dass er kontrolliert werden sollte. Die Beklagte behauptet, der Kläger habe sich einer Kontrolle entzogen.
Noch am 04. März 2011 gegen 22:10 Uhr erstattete der Geschäftsleiter B wegen des Vorwurfs des Diebstahls geringwertiger Sachen Strafanzeige gegen den Kläger. Nach dem Inhalt der Strafanzeige vom 04. März 2011 (Kopie als Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 08. August 2011, Bl. 89 bis 92 d.A.) warf der Geschäftsleiter dem Kläger vor, vier String-Tangas im Wert von insgesamt 20,00 € gestohlen zu haben.
Die Polizei suchte den Kläger am 04. März 2011 nach 22:00 Uhr zweimal in seiner Wohnung auf. Der Kläger erlaubte den Polizisten den Zutritt zu seiner Wohnung. Dort wurden keine String-Tangas gefunden.
Der Geschäftsleiter B durchsuchte das Spind des Klägers am 04. März 2011 gegen 22:30 Uhr ein weiteres Mal. Dabei war wieder mindestens ein Betriebsratsmitglied anwesend.
In der Zeit von 05. März 2011 bis einschließlich 13. März 2011 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 07. März 2011 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass der Verdacht bestehe, er habe am 04. März 2011 Unterwäsche nach Feierabend mitgenommen, ohne sie bezahlt zu haben. Der Kläger wurde zu einem Gespräch am 11. März 2011 eingeladen, um sich zu diesem Sachverhalt zu äußern. Alternativ setzte die Beklagte ihm eine Frist für eine schriftliche Äußerung bis 14. März 2011 (Anlage B 3 zum Schriftsatz der Beklagten vom 15. Juni 2011, Bl. 31 d.A.). Der Kläger erhielt das Schreiben vom 07. März 2011 am selben Tag. Er nahm schriftlich nicht Stellung und erschien auch nicht zu dem Termin am 11. März 2011. Am 14. März 2011 nahm der Kläger seine Arbeit wieder auf. Er wurde in das Büro des Geschäftsleiters B zur Befragung gebeten. Der Kläger gab an, er habe keinen Diebstahl begangen. Als der Kläger mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, man habe in seinem Spind Unterwäsche gefunden, erklärte er, dass er dazu keine Angaben mache. Der übrige Inhalt des Gesprächs ist streitig.
Mit Datum vom 14. März 2011 hörte die Beklagte den Betriebsrat sowohl zu einer außerordentlichen als auch einer ordentlichen Kündigung an. Als Kündigungsgrund wurde auf eine Anlage "Protokoll Vorfall am 04.03.11" verwiesen (Anlage B 6 zum Schriftsatz der Beklagten vom 15. Juni 2011, Bl. 34 f. d.A.). Wie in der Verhandlung vor der Berufungskammer am 18. April 2012 erörtert und von der Beklagten bestätigt, handelt es sich bei diesem Protokoll um die Anlage B 2 zum Schriftsatz der Beklagten vom 15. Juni 2011 (Bl. 30 d.A.). Dieses Protokoll wurde am 07. März 2011 gefertigt, es lautet:
"Hr. D
Diebstahl am 04.03.2011
Schon seit längerer Zeit stand Herr D unter Verdacht des Die...