Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff der Gesamtheit von Arbeitnehmern i.S. von § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 S. 3 VTV. Teilnahme eines in Österreich ansässigen Herstellers von Fassadenkonstruktionen mit Elementen aus Metall am Sozialkassenverfahren im Bauwesen
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Frage, wie groß die personelle Fluktuation innerhalb einer "Gesamtheit von Arbeitnehmern" nach § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV sein darf, lassen sich - bis auf eine Mindestgröße von zwei Arbeitnehmern - keine allgemeingültigen Regeln aufstellen.
2. Als ein Kriterium unter mehreren spricht es gegen die Bejahung einer selbständigen Betriebsabteilung, wenn eine hohe Fluktuation innerhalb der Gesamtheit der Arbeitnehmer gegeben ist.
3. Bei einer Gesamtbetrachtung können weitere Umstände, z.B. die vom Arbeitgeber prognostizierte Dauer der Baustelle bzw. die räumliche Entfernung derselben von der stationären Betriebsstätte, eine relativ hohe Fluktuation innerhalb der Arbeitnehmergruppe ausgleichen.
4. Die Urlaubsregelungen nach dem gesetzlichen Urlaubsrecht in Österreich sind gegenüber dem tariflichen Urlaubsrecht in Deutschland (BRTV, VTV) weniger günstig.
Normenkette
AEntG a.F. § 1 Abs. 3 S. 2; AEntG § 8 Abs. 1 S. 1; VTV § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 S. 3
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 02.12.2014; Aktenzeichen 12 Ca 989/13) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 2. Dezember 2014 - 12 Ca 989/13 - abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.587,66 EUR (in Worten: Sechstausendfünfhundertsiebenundachtzig und 66/100 Euro) zu zahlen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 75 % und die Beklagte 25 % zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Beiträgen zum Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Nach näherer tariflicher Maßgabe ist er die für den Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes zuständige Stelle.
Bei der Beklagten handelt es sich um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung österreichischen Rechts mit Sitz in Hohenzell, Österreich. Sie beschäftigt insgesamt mindestens ca. 200 Mitarbeiter(innen). Sie ist Mitglied der Bundesinnung der Schlosser und bei dem österreichischen Metallfachverband AMFT.
Im Unternehmen werden am Betriebssitz in Österreich Fassadenkonstruktionen mit Elementen aus Aluminium, Stahl oder Edelmetall industriell hergestellt. Daneben werden Fenster und Türen aus Systemprofilen hergestellt. Die Beklagte erbringt grundsätzlich sämtliche zur Erfüllung eines Auftrags notwendigen Schritte von der Planung über die Fertigung bis zum Einbau.
Die Beklagte unterhält vier sog. Divisionen, nämlich Alubau, Stahlbau, Sonderkonstruktionen sowie Nitrobau. Die Divisionen werden jeweils von einem Divisionsleiter geführt. Im Betrieb gibt es 70 verschiedene Kostenstellen.
Es existiert ein Pool von insgesamt ca. 43 ausgebildeten Metallwerktechnikern, deren Mitarbeiter vorwiegend für die Montage auf Baustellen zuständig sind. Wenn Montagearbeiten anfallen, wird auf Mitarbeitern aus diesem Pool durch die verschiedenen Divisionen zurückgegriffen. Für diesen Pool gibt es eine eigene Kostenstelle "Montage".
In den ersten acht Monaten des Jahres 2009 setzte die Beklagte auf der Baustelle "Zentraler Omnibusbahnhof, xxxx" insgesamt sieben aus Österreich entsandte Arbeitnehmer ein, welche dort zeitlich überwiegend Fassaden, Fenster und Türen montierten. Die jeweils achtstündigen und sich auf eine Summe von 496 addierenden Einsatztage verteilten sich auf die einzelnen Mitarbeiter wie folgt:
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H |
A |
B |
C |
D |
E |
F |
Jan |
15 |
15 |
15 |
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Febr |
20 |
20 |
20 |
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Mrz |
22 |
22 |
22 |
2 |
2 |
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April |
20 |
20 |
20 |
20 |
20 |
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Mai |
19 |
19 |
19 |
4 |
4 |
14 |
8 |
Juni |
11 |
20 |
20 |
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12 |
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Juli |
23 |
23 |
13 |
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Aug |
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2 |
10 |
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Die in Deutschland tätigen Mitarbeiter der Beklagten unterstanden einem Baustellenleitern namens G, welcher sich überwiegend in Österreich aufhielt, aber immer wieder auch auf der Münchener Baustelle erschien. Einkauf und Logistik, Mitarbeiterauswahl und Schulung sowie Abrechnung und Auszahlung der Löhne etc. erfolgten für alle Beschäftigten des Unternehmens zentral.
In einem Vorverfahren, welches das Jahr 2008 zum Gegenstand hatte, ist die Klage durch Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 1. April 2011 -10 Sa 126/10 - rechtskräftig abgewiesen worden. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass die Einschränkung der AVE-Bekanntmachung im Ersten Teil Nr. 5 (Betriebe der Metall- und Elektroindustrie) eingriff.
Auf der Grundlage des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) hat der Kläger von der Beklagten Zahlung von Beiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer für die Monate Januar 2009 bis Dezember 2009 begehrt. Er hat bei seiner Mindestbeitragsklage hinsichtlich der Zuordnung zu den Lohngruppen 1und 2 eine Ver...