Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte außerordentliche Kündigung. Unkündbarkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Bei tarifvertraglich geregelter Unkündbarkeit ist hinsichtlich der Möglichkeit einer außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung zunächst zu fragen, ob die tarifliche Regelung so gestaltet ist, dass sie insgesamt in aller Regel die Fortführung sinnlos gewordener und dem Arbeitgeber unzumutbarer Arbeitsverhältnisse verhindert.
2. Ist die Frage zu 1. zu bejahen, kommt eine außerordentliche Kündigung nur dann in Betracht, wenn – dies ist vom Arbeitgeber darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen – das tarifvertragliche Instrumentarium ausnahmsweise im Einzelfall dennoch nicht ausreicht. Insoweit sind strenge Anforderungen zu stellen.
Normenkette
BGB §§ 626, 611; Schutz-TV für den Bereich der Stationierungsstreitkräfte § 8 Ziff. 1; Schutz-TV für den Bereich der Stationierungsstreitkräfte § 8 Ziff. 3
Verfahrensgang
ArbG Darmstadt (Urteil vom 21.11.2001; Aktenzeichen 8 Ca 219/00) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts D. vom 21. November 2000 – 8 Ca 219/00 – teilweise abgeändert:
Die Klage wird bezüglich des Weiterbeschäftigungsantrags abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 25 % und die Beklagte 75 % zu tragen.
Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist und um die Verpflichtung der Arbeitgeberin, den Kläger weiterzubeschäftigen.
Der am 22. Februar 1950 geborene Kläger (geschieden, einem Kind unterhaltspflichtig) ist seit dem 06. Oktober 1969 bei den US-Streitkräften beschäftigt, und zwar bei der Dienststelle E. in G. Er war zuletzt als Druckereimechaniker-Vorarbeiter (Print Mechanik Leader) tätig, und zwar in der Vergütungsgruppe GV2-06 bei einer Bruttomonatsvergütung von DM 7.852,– (einschließlich regelmäßiger Überstunden; Bruttomonatsgrundvergütung: DM 5.218,–). Allein in der Beschäftigungsdienststelle sind regelmäßig etwa 50 Arbeitnehmer(innen) nach deutschem Arbeitsrecht beschäftigt.
Auf das Arbeitsverhältnis finden vereinbarungsgemäß der Tarifvertrag TVAL II vom 16. Dezember 1966 in der jeweils gültigen Fassung (nebst ändernden und ergänzenden Tarifverträgen) und der Tarifvertrag über Rationalisierungs-, Kündigung- und Einkommensschutz (Schutz-TV) vom 02. Juli 1997 Anwendung. § 8 Ziffer 1 Schutz-TV sieht nach einer anrechenbaren Beschäftigungszeit von 15 Jahren gegenüber Arbeitnehmern, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, den Ausschluss der ordentlichen Arbeitggebergundigung vom § 8 Ziffer 2 Schutz-TV lautet:
Der Kündigungsschutz nach Ziffer 1 erstreckt sich nicht auf Kündigungen aus einem der folgenden Gründe:
- Auflösung der Beschäftigungsdienststelle,
- Verlegung der Beschäftigungsdienststelle aus dem Geltungsbereich dieses Tarifvertrages (Bundesrepublik Deutschland),
- Fortfall des Aufgabenbereiches des Arbeitnehmers aus anderen als den in a) und b) genannten Gründe,
- Verlegung des Aufgabenbereiches des Arbeitnehmers mit seiner Beschäftigungsdienststelle oder zu einer anderen Beschäftigungsdienststelle im Geltungsbereich dieses Tarifvertrages (Bundesrepublik Deutschland).
Die für die ordentliche Kündigung festgelegten Fristen sind in jedem der Fälle a) bis d) einzuhalten. Ziffer 3 b) wird davon nicht betroffen.
Mit Schreiben vom 26. April 2000 (Kopie Blatt 4 bis 6 d.A., worauf für den Inhalt Bezug genommen wird) kündigten die US-Streitkräfte das Arbeitverhältnis des Klägers aus betrieblichen Gründen mit sozialer Auslauffrist zum 30. November 2000. Das Schreiben ging dem Kläger am 26. April 2000 zu.
Der Kläger hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, die ausgesprochene Kündigung sei unwirksam. Es fehle an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Es habe – jedenfalls nach Durchführung von Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen – die Möglichkeit bestanden, ihn weiterzubeschäftigen. Zudem sei Verfristung nach § 626 Abs. 2 BGB zu rügen. Weiter sei die ordnungsgemäße Durchführung der Sozialauswahl zu bestreiten. Außerdem habe die Arbeitgeberin die Anzeigepflicht gemäß § 17 Abs. 1 KSchG verletzt. Schließlich werde mit Nichtwissen bestritten, dass die Betriebsvertretung vorab ordnungsgemäß beteiligt worden sei.
Der Kläger hat dementsprechend Klage gegen die Kündigung eingereicht und dabei die B. als Beklagte angegeben. Der Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 15. Mai 2000 mit beigefügter Kopie des Kündigungsschreibens (Blatt 1 bis 6 d.A.) ist am selben Tage beim Arbeitsgericht eingegangen und der Beklagten am 03. Juli 2000 zugestellt worden. Im Klageantrag und in der Klagebegründung ist die Kündigung vom 26. April zum 30. November 2000 als ordentliche Kündigung bezeichnet. Dies ist dann mit Schriftsatz vom 28. August 2000 (Blatt 14/15 d.A.) richtig gestellt worden.
Der Kläger hat vor dem Arbeitsgerich...