Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch eines Arbeitnehmers bei Unfall im Fremdunternehmen. Organisationsverschulden des Unternehmens. Mitverschulden des Arbeitnehmers. Haftungsprivilegierung nach §§ 104ff SGB 7
Leitsatz (amtlich)
Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld eines für ein Transportunternehmen tätigen Lkw-Fahrer, der beim Abladen einer Ladung bei einem Kunden seines Arbeitgebers von einem für den Kunden tätigen Gabelstaplerfahrer schwer verletzt wurde.
Orientierungssatz
1. Einzelfallbezogene Ausführungen zum Organisationsverschulden des Unternehmers, der nicht in erforderlicher und zumutbarer Weise für die Sicherheit der die Ladehalle durchquerenden Fußgänger (u.a. Lkw-Fahrer auf dem Weg zum Versandbüro) gesorgt hat und zum Mitverschulden des Arbeitnehmers (hier: Mitverschuldensquote 20%).
2. Erfüllt der Verletzte sowohl Zwecke des Stammbetriebs als auch des Unfallbetriebs, kommt es für die Zuordnung seiner Tätigkeit darauf an, welche Aufgaben ihr das Gepräge geben. Auch wenn § 413 Abs 1 HGB die Verpflichtung zur Aushändigung der Versandpapiere umfasst und der Arbeitnehmer hier eine Verpflichtung des Unfallbetriebs ausführt, gibt sie der Tätigkeit des Arbeitnehmers im Unfallbetrieb nicht das Gepräge.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1, § 253 Abs. 2; SGB VII § 104 Abs. 1, § 105 Abs. 1; HGB § 413 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Marburg (Urteil vom 27.10.2004; Aktenzeichen 1 Ca 77/04) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts Marburg vom 27.10.2004 Az. 1 Ca 77/04 unter Zurückweisung der Berufung des Klägers im Übrigen sowie der Anschlussberufung der Beklagten zu 2) teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten zu 1) und 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger weitere 12.039,79 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 10.039,79 EUR netto seit dem 28.08.2003 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) und 2) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger die materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 05.03.2002 auf dem Betriebsgelände der Beklagten zu 2) in Stadtallendorf mit einer Haftungsquote vom 80% zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Im Übrigen wird die Klage einschließlich der Klageerweiterungen im Berufungsverfahren zurückgewiesen.
Von den erstinstanzlichen Gerichtskosten des Rechtsstreits hat der Kläger 1/3, die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner 2/3 zu zahlen.
Von den erstinstanzlichen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger die des Beklagten zu 1) zu 1/3, die der Beklagten zu 2) zu 1/3 zu tragen mit Ausnahme der Kosten, die durch die Anrufung des Landgerichts Marburg entstanden sind. Diese trägt der Kläger allein.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens (Streitwert 30.700,– EUR) trägt der Kläger 50%, d. Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner ebenfalls 50%.
Die Kosten der Anschlussberufung (Streitwert 4.500,– EUR) trägt die Beklagte zu 2)
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche des Klägers aus einem Unfall, der sich auf dem Betriebsgelände der Beklagten 2) ereignete.
Der am … geborene, verheiratete Kläger ist zu einem Nettomonatslohn von zuletzt durchschnittlich EUR 1.673,27 bei der Fa. A als Kraftfahrer beschäftigt. Der Monatslohn beinhaltet den Arbeitgeberanteil zu den vermögenswirksamen Leistungen sowie den Einzelfahrerzuschlag. Der Beklagte zu 1) ist im Unternehmen der Beklagten zu 2) seit Herbst 1999 als Gabelstaplerfahrer beschäftigt.
Am 5.03.2002 erhielt der Kläger von seinem Arbeitgeber den Auftrag, bei der Beklagten 2) in X eine Lieferung abzuholen. Vor Ort fuhr er rückwärts in eine der dreißig Ladebuchten der Versandhalle bei der Beklagten 2) ein und begab sich zur Überwachung des Ladevorgangs in die Versandhalle. In der Halle verläuft quer zu den Ladebuchten auf der einen und zum Hochregallager auf der anderen Seite eine Fahrbahn. Auf dieser sind sowohl Fußgänger als auch Gabelstapler unterwegs, letztere insbesondere in der Weise, dass sie permanent die Fahrbahn zwischen dem Hochregallager und den zu beladenen Lkws in den Ladebuchten in beide Richtungen kreuzen. Die Gabelstapler sind weder mit akustischen oder Lichtwarnsignalen beim Rückwärtsfahren noch mit Spiegeln ausgestattet. Markierungen auf dem Hallenboden, die einen Weg nur für Fußgänger von dem Ladeverkehr abgrenzen, existierten zum damaligen Zeitpunkt nicht. Die Fahrer der Lkws mussten nach Abschluss des Ladevorgangs durch die Halle zum Versandbüro gehen, um dort die Versandpapiere abzuholen. Eine Alternative für diesen Weg gab es nicht.
Der Kläger hatte auf seinem Weg zum Versandbüro, den er nach Abschluss des Ladevorgangs am Fahrbahnrand entlang der Ladebuchten nahm, gerade die Ladebucht 19 überquert, als ihn der vom Beklagten 1) gefahrene Gabelstapler von hinten ...