Entscheidungsstichwort (Thema)
Abmahnung. Anzeigepflicht. Arbeitsunfähigkeit. Auslaufen der Entgeltfortzahlung. unverhältnismäßig. Vorlage von Folgebescheinigungen über fortdauerndende Arbeitsunfähigkeit. Verhältnismäßigkeit einer Abmahnung. Rücknahmeanspruch des Arbeitnehmers
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine missbilligende Äußerung des Arbeitgebers in Form einer Abmahnung ist geeignet, das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers zu beeinträchtigen, weshalb diesem bei einer Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein Anspruch auf Rücknahme und Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte zusteht.
2. Im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist ein vertretbares Verhältnis zwischen dem gerügten Fehlverhalten und seiner Sanktionierung zu fordern.
3. Verstößt der Arbeitnehmer objektiv gegen die in § 5 Abs. 1 S. 4 EZFG geregelte Pflicht zur Vorlage von Folgebescheinigungen bei andauernder Arbeitsunfähigkeit, rechtfertigt dies eine Abmahnung durch den Arbeitgeber nicht, wenn er die ihn interessierende Information nach dem Fortbestand der Arbeitsunfähigkeit nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, beispielsweise auch durch eine telefonische Nachfrage beim Arbeitnehmer hätte erhalten können.
Normenkette
BGB §§ 104, 242, 1004
Verfahrensgang
ArbG Marburg (Urteil vom 26.02.2009; Aktenzeichen 3 Ca 153/08) |
Nachgehend
BAG (Aktenzeichen 10 AZN 1051/10) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg vom 26. Februar 2009 – 3 Ca 153/08 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rücknahme und Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte der Klägerin.
Der Beklagte betreibt ein Catering-Unternehmen. Er bewirtschaftet u. a. die Kantine der XXXXX ca. 3.500 Mitarbeitern im 3-Schicht-Betrieb. Die Klägerin ist dort seit dem 1.12.2001 in Teilzeit als Küchenhilfe beschäftigt. Sie erhielt zuletzt ein Monatsgehalt von EUR 1.075,00,– brutto und arbeitete 30 Stunden pro Woche.
Die Klägerin ist seit dem 1.12.2007 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Für den Zeitraum bis zum 25.06.2008 legte sie dem Beklagten jeweils Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des behandelnden Orthopäden vor. Mit dem Hinweis, dass nach Ablauf der Entgeltfortzahlung die Mitteilung an die Krankenkasse genüge und er für weitere Bescheinigungen keine zusätzliche Vergütung mehr erhalte, stellte der behandelnde Orthopäde keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mehr aus. Die Klägerin teilte dem Beklagten anlässlich einer Feier zur Eröffnung einer weiteren Betriebsstätte des Beklagten kurz vor Beginn der Sommerferien am 23.06.2008 mit, dass sie weiterhin arbeitsunfähig erkrankt sein werde.
Der Beklagte forderte die Klägerin mit Schreiben vom 17.07.2008 auf, entweder unverzüglich die Arbeit wieder aufzunehmen oder eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Gleichzeitig sprach er eine Abmahnung aus, weil die Klägerin ihn seit dem Ablauf der letzten Bescheinigung über ihre Arbeitsunfähigkeit im Unklaren gelassen habe. Auf den weiteren Inhalt der Abmahnung wird Bezug genommen (Bl. 4, 5 d. A.). Der Beklagte weigerte sich in der Folge, die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.
Die Klägerin hat die Abmahnungen für unberechtigt und unverhältnismäßig angesehen und beim Arbeitsgericht Klage auf Entfernung der Abmahnungen aus der Personalakte erhoben.
Das Arbeitsgericht Marburg hat mit Urteil vom 26.02.2009 (Az.: 3 Ca 153/08) der Klage stattgegeben und den Beklagten zur Zurücknahme und Entfernung der Abmahnung vom 17.07.2008 aus der Personalakte verurteilt. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, dass sich die Abmahnung nach den konkreten Umständen als unverhältnismäßig erweise.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien, der vor dem Arbeitsgericht gestellten Anträge, sowie der Erwägungen des Arbeitsgerichts im Übrigen wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (Bl. 52 – 57 d. A.).
Der Beklagte hat gegen das ihm am 8.04.2009 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts am 24.04.2009 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 6.07.2009 am 6.07.2009 begründet.
Der Beklagte behauptet, bei der Feier zur Eröffnung eines neuen Betriebes habe die Klägerin zwar in einem kurzen Gespräch nebenbei erwähnt, dass sie noch länger krank sei. Sie habe ihn dabei aber weder darüber informiert, wie lange die Arbeitsunfähigkeit noch andauere, noch welcher Art die Erkrankung sei oder dass weitere Operationen notwendig seien. Er ist der Ansicht, die Klägerin habe mit ihrem Verhalten zumindest objektiv gegen die bereits im Arbeitsvertrag geregelte Verpflichtung zur Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen verstoßen. Ihr Verhalten habe ihm die Personalplanung nach dem 25.06.2008 erschwert, denn er habe nun jeden Tag mit der Wiederaufnahme der Arbeit seitens der Klägerin rechnen müssen. Mit dem Ausspruch der Abmahnung habe er Planungssicherheit für den weiteren Personaleinsatz ...