Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Verfügungsanspruch gegen Versetzung bei nachfolgender Kündigung. Anspruch auf Weiterbeschäftigung nur bei überwiegendem Abwehrinteresse des Arbeitnehmers oder offensichtlich unwirksamer Kündigung. Keine Anhörungspflicht vor Versetzung. Konfliktvorbeugung als ermessensfehlerfreier Grund für örtliche Versetzung
Leitsatz (amtlich)
1. Streiten die Parteien um die Wirksamkeit einer Versetzung, so besteht dann kein Verfügungsanspruch gerichtet auf Beschäftigung zu den alten Arbeitsbedingungen, wenn nach der Versetzung eine Kündigung ausgesprochen worden und diese nicht offensichtlich unwirksam ist.
2. Macht der Arbeitnehmer im einstweiligen Verfügungsverfahren nach einer umstrittenen Versetzung einen Anspruch auf Beschäftigung geltend, so begehrt er der Sache nach eine Vorwegnahme der Hauptsache. Daher kann nach einer Interessenabwägung ein Verfügungsgrund nur dann bejaht werden, wenn der Antragsteller entweder ein gesteigertes Abwehrinteresse, z.B. Pflege naher Angehöriger, Verlust von Fachwissen o.ä., darlegen kann oder aber die Versetzungsmaßnahme offensichtlich unwirksam ist.
3. Die vorherige Anhörung des von einer Versetzung betroffenen Arbeitnehmers nach § 4 Abs. 1 Satz 2 TVöD ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung der personellen Maßnahme.
4. Es ist grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft i.S.d. § 106 GewO, wenn der Arbeitgeber eine örtliche Versetzung ausspricht, um einer Konfliktsituation am Arbeitsplatz entgegenzuwirken.
Normenkette
ZPO §§ 935, 940; GewO § 106; BGB §§ 611a, 242, 315 Abs. 3; TVöD § 4 Abs. 1; BetrVG § 99; ZPO § 97 Abs. 1; AGG § 7 Abs. 1; GG Art. 1, 2 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 06.07.2020; Aktenzeichen 21 Ga 75/20) |
Tenor
Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 06. Juli 2020 – 21 Ga 75/20 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Verfügungsklägerin zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens um die Frage, wie die Verfügungsklägerin zu beschäftigen ist.
Der Verfügungsbeklagte ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in A. Vereinszweck ist u.a. die Betreuung und Unterhaltung von Obdachlosenunterkünften. Insgesamt werden ca. 4.500 Klienten betreut. Ein Betriebsrat ist gewählt.
Die bei Antragseingang 43 Jahre alte Verfügungsklägerin war seit dem 11. November 2013 als Verwaltungsmitarbeiterin in Teilzeit bei dem Verfügungsbeklagten beschäftigt. Grundlage ist der schriftliche Arbeitsvertrag vom 11. November 2013. Darin heißt es u.a.
„…§ 2 Aufgabe, Arbeitszeit, Veränderung vertraglicher Bedingungen Der/die Arbeitnehmer/in wird als Verwaltungsmitarbeiterin eingestellt.
Der Arbeitgeber ist berechtigt, dem/der Arbeitnehmer/in einseitig auch andere zumutbare Aufgaben zuzuweisen, die nach Art und Umfang seiner/ihrer Ausbildung, seinen/ihren Erfahrungen und seinen/ihren Fähigkeiten entsprechen und/oder ihn/sie an einen anderen Arbeitsplatz an einem anderen Arbeitsort/in einer anderen Betriebsstätte des Arbeitgebers zu versetzen, ohne dass es einer (Änderungs-)Kündigung des Anstellungsvertrags bedarf. …“
Hinsichtlich der Einzelheiten des Arbeitsvertrages wird verwiesen auf Bl. 12 - 18 der Akte. Das Bruttomonatsgehalt belief sich auf 2.511 Euro.
Die Verfügungsklägerin wurde zumindest unstreitig seit 2015 in der Buchhaltung in der Vereinszentrale eingesetzt. Dort war sie schwerpunktmäßig mit Tätigkeiten im Zusammenhang mit Entgeltabrechnungen betraut. Ob Sie zwischenzeitlich in dem Bereich SoNo (Soziale Notlagen) eingesetzt war, ist zwischen den Parteien im Streit.
An dem Arbeitsplatz der Verfügungsklägerin bestand eine Konfliktsituation, insbesondere zwischen der Verfügungsklägerin und Frau B. Jedenfalls seit Januar 2020 ist ein Coach hinzugezogen worden. In einem Gespräch vom 8. Juni 2020 führte die Verfügungsklägerin aus, dass sie sich von ihrem Vorgesetzten gemobbt fühle.
Mit Schreiben vom 25. Juni 2020 (Bl. 28 der Akte) teilte der Verfügungsbeklagte mit, dass die Verfügungsklägerin ab dem 1. Juli 2020 in den Bereich SoNo versetzt werde. Neuer Arbeitsort sollte die Übernachtungsstätte im C in A sein.
Zuvor ist der Betriebsrat zu der beabsichtigten Maßnahme mit Schreiben vom 18. Juni 2020 (Anl. BB3) beteiligt worden. Dabei wurde mitgeteilt, dass die Kostenstelle bei der Frauenberatungsstelle angesiedelt sein sollte, der Einsatzort sollte der Bereich SoNo sein. Der Betriebsrat hat am 24. Juni 2020 seine Zustimmung erteilt.
Der Verfügungsbeklagte hat das Arbeitsverhältnis mittlerweile mit Schreiben vom 22. September 2020 außerordentlich und mit Schreiben vom 28. September 2020 hilfsweise ordentlich gekündigt. Die Verfügungsbeklagte hat hiergegen Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Frankfurt a.M. erhoben.
Die Verfügungsklägerin hat die Ansicht vertreten, dass die Versetzungsanordnung rechtswidrig sei. Sie hat behauptet, dass bei der Übernachtungsstätte im C nur Baracken, keine richtigen Büroräume zur Verfügung stünden. Sie ...