Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses kann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht dadurch verletzt hat, dass er einer Vorgesetzten (hier: durch einen übertrieben starken Händedruck) körperliche Schmerzen zugefügt hat.

2. Gleichwohl ist die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer dem Betrieb bereits 22 Jahre angehört hat, ohne dass eine grundsätzliche Gewaltneigung bisher hervorgetreten ist, und es sich um eine extreme Ausnahmesituation gehandelt hat, die ihn nachvollziehbar massiv belastete. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn unmittelbar zuvor gleich mehrere unberechtigte Abmahnungen ausgesprochen worden waren.

 

Normenkette

BGB § 626; KSchG § 1; BGB § 1004

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 11.04.2013; Aktenzeichen 11 Ca 7727/12)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 11. April 2013 - 11 Ca 7727/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen Kündigung, einer hilfsweise ordentlichen Kündigung, die Entfernung mehrerer Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers sowie um die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Informationstechnologie in der Rechtsform der GmbH. Bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet.

Der am ... geborene Kläger ist seit dem 1. November 1990 bei der Beklagten zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von zuletzt € 6250 brutto als Service Line Leader beschäftigt.

Er stand jedenfalls vor dem 1. November 2011 in einer mehrjährigen privaten Beziehung mit der ebenfalls bei der Beklagten beschäftigten Frau A. Beide verfügten jeweils über einen Schlüssel zur Wohnung bzw. dem Haus des anderen. Frau A wurde am 1. November 2011 unmittelbare fachlich- disziplinarische Vorgesetzte des Klägers. Weder der Kläger noch Frau A legten die private Beziehung gegenüber der Beklagten offen. Jedenfalls ab Mai 2012 - der genaue Zeitpunkt ist streitig - bestand die Beziehung zwischen Frau A und dem Kläger nicht mehr.

Mit E-Mail vom 13. August 2012 (Bl. 173 d.A.) schrieb Frau A den Kläger an und teilte ihm ua. mit:" (...) über den Donnerstag "home office" werde ich morgen mit dir in B vor Ort sprechen, analog unseres Gesprächs vor deinem Urlaub." Am 14. August 2012 fand in B der wöchentliche "Manager-Call" statt. Der Kläger ist nur zu Beginn eines solchen "Manager-Calls" anwesend, im Übrigen bleibt er den Führungskräften vorbehalten. Der Kläger kannte dessen zeitliches Ende daher nicht. Frau A kam am 14. August 2012 nicht mit einer konkreten zeitlichen Vorgabe für das Gespräch auf ihn zu.

Der Kläger hatte ein Gleitzeitkonto mit zuletzt 1.178, 47 Stunden aufgebaut, wegen dessen hohen Saldos der Vorgesetzte des Klägers Herr C es seit September 2010 mehrfach abgelehnt hatte, den Kläger mit neuen Projekten zu betrauen. Anfang 2012 erklärte sich der Kläger gegenüber Frau A bereit, auf sein Gleitzeitguthaben verzichten, um das Thema zum Abschluss zu bringen. Diese erklärte, dass sie dies nicht tun werde, sondern sich für den Kläger einsetzen werde, damit eine Lösung gefunden würde, die den Kläger in die Lage versetzen sollte, die Stunden abzubauen. Im Jahr 2012 erarbeitete der Kläger einen Plan zum Abbau des hohen Gleitzeitsaldos, der von Frau A nicht akzeptiert wurde. Alternativen wurden von Frau A nicht vorgeschlagen.

Unter dem 3. September 2012 wurden dem Kläger "i.A. S. A" drei Ermahnungen erteilt, wegen deren Inhalt auf Bl. 9- 13 d.A. Bezug genommen wird. Diese Ermahnungen wurden inzwischen aus der Personalakte des Klägers entfernt.

Unter dem Datum des 7. September 2012 erteilte die Beklagte dem Kläger drei Abmahnungen, die jeweils von Frau A und Herrn D unterzeichnet waren. Wegen des Inhalts der Abmahnungen wird auf Bl. 15 - 20 d.A. Bezug genommen.

Am 11. Oktober 2012 fand ein Personalgespräch zwischen dem Kläger und dem Personalleiter der Beklagten E statt, an dem auch Frau A als damalige Führungskraft des Klägers und das Betriebsratsmitglied F teilnahmen. Bei diesem Gespräch wurde dem Kläger eine weitere auf den 27. September 2012 datierte Abmahnung ausgehändigt. Thema des Personalgesprächs war weiterhin der Umgang mit dem Gleitzeitkonto des Klägers und es wurde seine - der Geschäftsleitung inzwischen bekannte - beendete Beziehung mit Frau A und deren Bedeutung für die gegen ihn erhobenen Vorwürfe thematisiert. Hierbei ging es unter anderen um die Frage, wann die Beziehung endete, wobei Frau A die Ansicht des Klägers, im November 2011 habe noch eine Beziehung bestanden, in geringschätzigem Tonfall mit der Bemerkung kommentierte: "Wenn man meint, da ha...

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