Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuordnung von "Sowohl-als-auch-Tätigkeiten" unter den VTV Baugewerbe. Abgrenzung typischer Handwerksarbeiten wie Maler- und Tapezierarbeiten zu typischen baulichen Tätigkeiten
Leitsatz (amtlich)
1. Führen Arbeitnehmer Tätigkeiten aus, die sowohl baulicher Natur als auch einem der ausgenommenen Gewerke des § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV zuzuordnen sind, kommt es darauf an, welches Gepräge diese „Sowohl-als-auch-Tätigkeiten“ dem Betrieb geben. Entscheidend ist in erster Linie der Charakter der überwiegend ausgeführten Tätigkeiten. Die Abgrenzung richtet sich insbesondere danach, ob die „Sowohl-als-auch-Tätigkeiten“ von Fachleuten des ausgenommenen Gewerks angeleitet und verrichtet werden. Werden sie von Fachleuten eines Baugewerbes oder von ungelernten Arbeitskräften durchgeführt, ist regelmäßig eine Ausnahme vom Geltungsbereich des VTV abzulehnen (Anschluss an BAG 27. März 2019 - 10 AZR 512/17 - Rn. 27, NZA 2019, 1508).
2. Diese Grundsätze bedürfen der Modifikation in denjenigen Fällen, in denen zu einem erheblichen arbeitszeitlichen Anteil - mindestens 50 % - für das Handwerk typische Arbeiten, bei einem Malerbetrieb also Maler- und Tapezierarbeiten, erbracht worden sind. In einem solchen Fall erscheint die Zuordnung zu den Betrieben des Baugewerbes nicht zweifelsfrei. Für die Abgrenzung kommt es in einem ersten Schritt - wie sonst auch - darauf an, ob die Arbeitnehmer durch eine Fachaufsicht beaufsichtigt worden sind. In einem zweiten Schritt bedarf es einer abschließenden wertenden Entscheidung anhand aller Umstände des Einzelfalls, ob die Zuordnung zu dem Handwerksbereich gerechtfertigt ist.
Normenkette
SokaSiG § 7; VTV SOKA Bau § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 6; HwO § 1; BGB § 253 Abs. 2 Nr. 2, §§ 199, 204 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 17.10.2018; Aktenzeichen 11 Ca 1927/16) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 17. Oktober 2018 – 11 Ca 1927/16 – wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugunsten des Beklagten für die Beiträge hinsichtlich der Kalenderjahre 2015 und 2016 zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um eine Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Beiträgen zu dem Sozialkassenverfahren im Baugewerbe.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Auf der Grundlage des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), der in der Vergangenheit regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, i.V.m. dem Sozialkassenverfahrenssicherungsgesetz (SokaSiG) nimmt er den Beklagten nach Verbindung von sechs Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung auf Zahlung von Beiträgen in Höhe von 89.696,73 Euro in Anspruch. Dabei handelt es sich um Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer in dem Zeitraum Mai 2012 bis September 2017. Für den Zeitraum Mai 2012 bis April 2017 basiert die Klageforderung auf Lohnsummen, die der Beklagte mitgeteilt hat. Für den Zeitraum Mai 2017 bis September 2017 macht der Kläger eine Mindestbeitragsklage geltend und hat dabei zugrunde gelegt, dass mindestens vier gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt waren.
Der Beklagte unterhielt im streitgegenständlichen Zeitraum als Einzelunternehmer einen Gewerbebetrieb in A. In seinem Briefkopf warb er mit den Tätigkeiten Verkauf von Fliesen, Naturstein, Teppichböden, PVC, Laminat und Fertigparkett, Verlegearbeiten, Sanierung, Trockenbau, Handelsvertretung. Im Gewerberegister der Stadt A ist der Betrieb mit folgenden Tätigkeiten eingetragen: Handelsvertretungen, Verkauf von Teppichböden und Zubehör, Bodenleger (Verlegen von Linoleum-, Kunststoff- und Gummiböden), Fliesen-, Platten- und Mosaikleger, Estrich- und Parkettleger. Häufig ist der Betrieb nach einem Wasserschaden hinzugezogen worden. Unstreitig ist, dass dabei insbesondere Fliesen- und Malerarbeiten angefallen sind, ferner wurden - zu einem geringeren arbeitszeitlichen Anteil - Bodenbelagsarbeiten und Putz- und Trockenbauarbeiten erbracht. Über die Einzelheiten der betrieblichen Tätigkeiten herrscht zwischen den Parteien Streit.
Mit Schreiben vom 1. Juli 2011 (Bl. 447 f. der Akte) gab der Beklagte gegenüber dem Kläger die im Betrieb erbrachten Tätigkeiten wie folgt an:
- Entkernungsarbeiten 1 %
- Fliesen und Platten 26 %
- Hausmeister 2 %
- Holz- und Bautenschutz 5 %
- Montage von Baufertigteilen 5 %
- Rollläden 1 %
- Trockenbauarbeiten 4 %
- Verlegen von Bodenbelägen 3 %
- Bodenbelagsarbeiten (Parkett/Laminat/PVC/Teppich) 17 %
- Reparaturservice 8 %
- Wärmedämmung 2 %
- Maler und Lackiererarbeiten 26 %.
Am 27. März 2012 gab es einen Besuch durch einen Betriebsberater des Klägers. Dieser nahm Einsicht in Lohn- und Gehaltsunterlagen sowie Ein- und Ausgangsrechnungen.
Zwischen den Parteien war ein Vorverfahren anhängig, das den Zeitraum Januar 2010 bis April 2012 betraf. Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat der Beitragsklage mit Urteil vom 22. Mai 2013 - 11 Ca 1433/12 ...