Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigungserklärungsfrist
Leitsatz (amtlich)
1. Da ohne die umfassende Kenntnis des Kündigungsberechtigten vom Kündigungssachverhalt sein Kündigungsrecht nicht verwirken kann, darf ein Kündigungsberechtigter den Aus- bzw. Fortgang eines Strafermittlungs- bzw. eines Strafverfahrens abwarten und seinen Kündigungsentschluss davon abhängig machen (BAG 5. Juni 2008 – 2 AZR 234/07 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7), er darf dann aber nicht zu einem beliebigen willkürlich gewählten Zeitpunkt außerordentlich kündigen. Für den gewählten Zeitpunkt bedarf es eines sachlichen Grundes, wenn etwa der Kündigungsberechtigte neue Tatsachen erfahren oder neue Beweismittel erlangt hat und nunmehr einen neuen ausreichenden Erkenntnisstand für eine Kündigung zu haben glaubt, kann er dies zum Anlass für die Kündigung nehmen.
2. Ist der Kündigungsberechtigte der Meinung, aus einem eingeleiteten Strafermittlungsverfahren könnte sich ein umfassenderer Kenntnisstand ergeben, als er ihn ohne Hinzuziehung von Ermittlungsbehörden selbst bereits erlangt und für eine Kündigungserklärung verwandt hat, darf er den Aus- bzw. Fortgang eines Strafermittlungsverfahrens abwarten und zwar unabhängig davon, ob er einen vor Abschluss des Strafermittlungsverfahrens gefassten Kündigungsentschluss bereits durch den Ausspruch einer Kündigung manifestiert hat. Dies muss bereits deshalb gelten, weil bei den Maßnahmen, die der Kündigungsberechtigte einleitet – wie etwa die Anzeigeerstattung – gerade nicht darauf abgestellt werden darf, ob die Maßnahmen des Kündigenden etwas zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder überflüssig waren. Die abgewartete Ergebnislosigkeit eines eingeleiteten Strafermittlungsverfahrens kann ebenso gut den Entschluss des Kündigungsberechtigten nach sich ziehen, keine weitere Kündigung erklären zu wollen.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 28.01.2010; Aktenzeichen 11 Ca 8437/09) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. Januar 2010 – 11 Ca 8437/09 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug noch um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.
Die Beklagte produziert Analysegeräte für die Labordiagnostik in Auftragsfertigung. Sie beschäftigt an ihrem einzigen Standort in A etwa 110 Mitarbeiter. Es ist ein Betriebsrat gebildet.
Der Kläger ist am 20. Mai 1961 geboren und verheiratet. Er war seit dem 10. März 1999 bei der Beklagten als Informationselektroniker beschäftigt. Sein Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt EUR 3.997,76.
Mit Schreiben vom 18. September 2009, das dem Kläger am 21. September 2009 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich fristgerecht. Vor dieser Kündigung hatte sie den Betriebsrat nicht angehört.
Mit Schreiben vom 23. September 2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung an. Sie teilte dem Betriebsrat dabei unter anderem mit, dass feststehe, dass vom Kläger der Firma B am 16. September 2009 angebotene Ware bei der Hausdurchsuchung sichergestellt wurde und dass der Kläger einen Laptop des Unternehmens entwendet habe, der bei der Hausdurchsuchung am 21. September 2009 sichergestellt wurde. Wegen der Einzelheiten und des genauen Inhalts der Betriebsratsanhörung wird auf Blatt 49 bis 55 der Akten Bezug genommen.
Sie kündigte sodann das Arbeitsverhältnis des Klägers erneut fristlos, hilfsweise ordentlich fristgerecht mit Schreiben vom 29. September 2009, das dem Kläger am Folgetag zuging.
Mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2009, der am selben Tag per Telefax bei dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main einging, hat der Kläger Kündigungsschutzklage wegen der beiden Kündigungen erhoben.
Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 29. September 2009 sei als außerordentliche fristlose Kündigung unwirksam, weil die Beklagte die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten habe. Er hat gemeint, dies folge daraus, dass die Beklagte spätestens am 7. September 2009 positive vollständige Kenntnis von den Vorfällen gehabt habe. Er hat die Auffassung vertreten, weiterer Aufklärungsmaßnahmen habe es nicht bedurft und neue, weitere Vorfälle habe es nicht gegeben. Er hat behauptet, er habe den Laptop nicht entwendet. Er hat außerdem die Meinung vertreten, die Kündigung verstoße gegen § 623 BGB, weil das Kündigungsschreiben lediglich eine Paraphe aufweise. Zudem hat er gemeint, für eine Verdachtskündigung fehle es an einer ordnungsgemäßen Anhörung, denn seine Erklärung bei der Hausdurchsuchung sei keine Anhörung im Sinne einer arbeitsrechtlichen Anhörung gewesen.
Der Kläger hat beantragt,0
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch di...