Leitsatz (amtlich)

1) Durch § 1 Abs. 5 KSchG ist die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nicht geändert worden, wie sie in Anknüpfung an § 1 Abs. 3 S. 1, 2. Halbsatz KSchG von der Rechtsprechung entwickelt worden ist,

2) Grob fehlerhaft ist die Sozialauswahl dann, wenn eines der sozialen Grunddaten überhaupt nicht beachtet oder in seiner Gewichtung grob vernachlässigt worden ist oder die Anwendung eines Punkteschemas im Einzelfall zu einer groben Ungerechtigkeit führt,

3) Mit der Sozialauswahl im Sinne des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG dürfen betriebliche Interessen nicht verfolgt werden, dies ist nur nach Maßgabe des Ausnahmetatbestandes des § 1 Abs. 3 S 2 KSchG zulässig;

4) § 1 Abs. 3, 5 KSchG steht selbständig neben § 125 InsO; außerhalb des Konkurses darf das mit betriebsbedingten Kündigungen verfolgte betriebliche Interesse daher nicht in der Schaffung einer neuen Altersstruktur bestehen,

5) Zur Feststellung der Vergleichbarkeit der von der Sozialauswahl betroffenen und von ihr aus betrieblichen Gründen auszunehmenden Arbeitnehmer darf nicht deren Lebensalter herangezogen werden,

6) Das betriebliche Ziel der Sicherung der Altersstruktur darf der Arbeitgeber aber dadurch verfolgen, daß er die Arbeitnehmer des Betriebes in Altersgruppen einteilt, die er alsdann anteilmäßig mit dem Abbau jeweils „gleichvieler” Arbeitskräfte belastet,

7) Die Gewichtung der Unterhaltspflichten ist völlig unausgewogen, wenn allein kindergeldberechtigte Kinder Berücksichtigung finden,

8) Bei der Gewichtung des Lebensalters darf § 41 Abs. 4 S. 2 SGB VI nicht bewußt mißachtet werden; dies begründet einen groben Fehler der Sozialauswahl,

9) Die Gewichtung der Dauer des Arbeitsverhältnisses darf die in den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen enthaltene Wertung nicht völlig unbeachtet lassen, anderenfalls ist sie grob fehlerhaft.

 

Normenkette

KSchG § 1 in der vom 01.10.1996 bis 31.12.1998 geltenden Fassung

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 31.03.1998; Aktenzeichen 5 Ca 2078/97)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Frankfurt vom 31.03.1998 – AZ.: 5 Ca 2078/97 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Das Rechtsmittel der Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 24. Februar 1997 und über das Bestehen des Weiterbeschäftigungsanspruches des Klägers. Die Kündigung, hinsichtlich deren Inhaltes auf die Anlage B 3 zum Schriftsatz der Beklagten vom 15. April 1998 verwiesen wird, ist dem Kläger am 27. Februar 1997 zugegangen. Mit seiner seit dem 10. März 1997 anhängigen, seit dem 10. April 1997 rechtshängigen Kündigungsschutzklage setzt sich der Kläger dagegen zur Wehr. Die Beklagte ist eine rechtlich selbständige Tochtergesellschaft der …. Diese unterhält in … mit der Beklagten und drei weiteren Tochtergesellschaften einen gemeinschaftlichen Betrieb, in dem auch der Kläger tätig gewesen ist. Bis zum 30. September 1996, dem Kündigungstermin der Kündigung vom 24. Februar 1997, wurden in diesem Betrieb 1.896 Mitarbeiter beschäftigt. Hiervon wurden insgesamt 379 Arbeitnehmer betriebsbedingt per 30. September 1997 entlassen, soweit sie nicht Auflösungsverträge abgeschlossen hatten. Auf die Beklagte entfielen 168 Arbeitnehmer (vgl. die Anlage B 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 15. April 1997 unter 1.). Hinsichtlich der Anzeige nach § 17 KSchG wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 24. November 1997 nebst Anlagen B 17 und 19 und vom 09. März 1998 nebst Anlage B 20 verwiesen. Zur Zeit des Zuganges der Kündigung vom 24. Februar 1997 war der Kläger 57 Jahre alt. Er stand seit dem 01. Mai 1973 als Ingenieur in den Diensten der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern und hatte zuletzt den Rang eines „Senior-Ingenieurs”. Er ist verheiratet und Vater eines im Studium befindlichen Sohnes.

Anläßlich der für den Gemeinschaftsbetrieb geplanten Personalreduzierung nahm die Beklagte mit dem im Gemeinschaftsbetrieb gebildeten Betriebsrat am 18. November 1996 Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan auf. Diese scheiterten jedoch. Die Beklagte rief die Einigungsstelle an, die unter dem Vorsitz des Richters am Bundesarbeitsgericht … ihre Arbeit am 06. Januar 1997 aufnahm. Es fanden mehrere Sitzungen der Einigungsstelle statt. Diesbezüglich wird auf das Protokoll der Einigungsstelle betreffend die Sitzungen am 07. Februar, 08. Februar und 09. Februar 1997, Anlage B 9 zum Schriftsatz der Beklagten vom 24. November 1997, verwiesen.

Im Laufe der Einigungsstellensitzung vom 13./14. Februar 1997 wurden in getrennten Sitzungen der Entwurf eines Interessenausgleiches und der Entwurf eines Sozialplanes erarbeitet und noch in der Sitzung vom 14. Februar 1997 von den Beisitzenden der Arbeitgeberseite sowie des Betriebsrates in der Einigungsstelle unterzeichnet. Auf die Betriebsvereinbarung über ein Interessenausgleich und Sozialplan vom 14. Februar 1997, Anlage B 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 15. April/21....

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