Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestand einer Beschwer des Berufungsführers im Berufungsverfahren. Unzulässige Klageänderung mit dem Inhalt eines neuen Streitgegenstands. Zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Berufung ist als unzulässig zu verwerfen, wenn der Kläger den in erster Instanz verfolgten Streitgegenstand (13. Monatseinkommen aus betrieblicher Übung) nicht mehr verfolgt, sondern mit ihr nur noch und erstmals einen Anspruch aus einem gekündigten Tarifvertrag iVm. § 4 Abs. 5 TVG geltend macht. Es fehlt in diesem Fall an der nach § 511 ZPO erforderlichen Beschwer.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine zulässige Berufung setzt voraus, dass der Berufungskläger die aus dem ersten Urteil folgende Beschwer bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht noch beseitigen will.

2. Die Zivilprozessordnung lässt nicht zu, dass im Wege der Klageänderung lediglich ein neuer, bisher nicht geltend gemachter Anspruch zur Entscheidung gestellt wird. Die bloße Änderung der Klage in zweiter Instanz kann nicht alleiniges Ziel des Rechtsmittels sein, ein solches Prozessziel setzt vielmehr eine zulässige Berufung voraus.

3. Streitgegenstand ist der als Rechtsschutzbegehren verstandene, eigenständige prozessuale Anspruch, der durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet, bestimmt wird.

 

Normenkette

ZPO § 253 Abs. 2, §§ 511, 522 Abs. 1; TVG § 4 Abs. 1, 5; Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 21. Mai 1997 § 2 Nr. 1 Fassung: 2022-07-04

 

Verfahrensgang

ArbG Gießen (Entscheidung vom 24.07.2015; Aktenzeichen 3 Ca 36/15)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 24. Juli 2015 – 3 Ca 36/15 – wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um ein 13. Monatseinkommen für das Jahr 2014.

Der Beklagte ist nach dem Insolvenzeröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Wetzlar vom 1. März 2016 (Bl. 89 der Akte) Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma A KG Bauunternehmung (künftig: Schuldnerin).

Der Kläger ist seit dem 1. August 1985 bei der Schuldnerin als Maurer mit einem Stundenlohn von im Jahre 2014 16,64 € brutto beschäftigt. Seit dem 1. Oktober 1985 ist er Mitglied der Gewerkschaft IG Bau. Die Schuldnerin war ebenfalls tarifgebunden.

Der Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 21. Mai 1997 in der Fassung vom 4. Juli 2002 (künftig: TV 13. MOE 2002), in dessen betrieblichen Geltungsbereich gemäß § 1 (2) alle Betriebe fielen, die unter den betrieblichen Geltungsbereich des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe in der jeweils geltenden Fassung fallen, regelte in § 2 (1) unter der Überschrift“ 13. Monatseinkommen“:

„Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis am 30. November des laufenden Kalenderjahres (Stichtag) mindestens 12 Monate (Bezugszeitraum) ununterbrochen besteht, haben Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen in Höhe des 93 fachen ihres in der Lohntabelle ausgewiesenen Gesamtstundenlohns.“

§ 6 TV 13. MOE 2002 regelte, dass das 13. Monatseinkommen je zur Hälfte zusammen mit der Vergütung für die Monate November des jeweiligen Jahres und April des Folgejahres auszuzahlen ist.

Der TV 13. MOE 2002 wurde zum 30. Juni 2003 gekündigt.

In der Fassung des Tarifvertrags über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 29. Oktober 2003 (künftig: TV 13. MOE 2003) sind in § 1 Abs. 2 aus dem betrieblichen Geltungsbereich die Mitgliedsbetriebe des Baugewerbeverbandes Schleswig-Holstein und der Verbände baugewerblicher Unternehmer Niedersachsen, Hessen und im Lande Bremen ausgenommen. Die Regelung in § 2 (1) S. 1 entspricht der in TV 13. MOE 2002 getroffenen Regelung. Zusätzlich regelt § 2 (1) TV 13. MOE 2003 jedoch, dass durch freiwillige Betriebsvereinbarung oder, wenn kein Betriebsrat besteht, durch einzelvertragliche Vereinbarung, eine abweichende Regelung getroffen werden kann, wobei ein Betrag von 780 € brutto nicht unterschritten werden darf.

Die Schuldnerin zahlte bis zum Jahre 2001 an alle Mitarbeiter ein 13. Monatseinkommen gemäß den tariflichen Regelungen. In den Jahren 2002-2009 zahlte sie an die gewerblichen Arbeitgeber stets ein 13. Monatseinkommen von jedenfalls 780 € brutto. In den Jahren 2010 und 2011 schlossen die Betriebsparteien eine Betriebsvereinbarung über die Höhe der Zahlung des 13. Monatseinkommens in unterschiedlicher Höhe und in den Jahren 2012 und 2013 zahlte die Schuldnerin allgemein kein 13. Monatsgehalt, im Jahr 2013 zahlte sie allerdings an diejenigen Arbeitnehmer, die es klageweise geltend gemacht hatten.

Unter dem 19. Dezember 2014 (Bl. 77 d.A.) machte der Kläger gegenüber der Schuldnerin schriftlich (Bl. 4 d.A.) einen Anspruch iHv. 764,46 € brutto für 2014 geltend und führte dazu aus, auf sein Arbeitsverhältnis fä...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge