Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsabgeltung. Arbeitsunfähigkeit. Anspruchskonkurrenz zwischen gesetzlichem und tariflichem Urlaubsanspruch. Tilgungsbestimmung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Kammer folgt der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach die gesetzlichen Urlaubsabgeltungsansprüche nicht erlöschen, wenn Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deswegen arbeitsunfähig sind (BAG, Urteil vom 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - und BAG, Urteil vom 19.05.2009 - 9 AZR 477/07 -).
2. Der gesetzliche und der tarifliche Urlaubsanspruch bilden gemeinsam einen einheitlichen Anspruch auf Erholungsurlaub. Dies hat zur Folge, dass der Arbeitgeber - unabhängig von einer etwaigen Tilgungsbestimmung iSv § 366 Abs 2 BGB - zunächst auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch und erst danach auf den darüber hinausgehenden tariflichen Urlaubsanspruch leistet (vgl BAG, Urteil vom 05.09.2002 - 9 AZR 244/01 -).
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Urlaubsgewährung leistet der Arbeitgeber ohne besondere Tilgungsbestimmung zunächst auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch und erst danach auf den darüber hinausgehenden tariflichen Urlaubsanspruch.
Normenkette
BUrlG §§ 1, 3 Abs. 1, § 7 Abs. 3 Sätze 1-3, Abs. 4, § 9; EGRL 88/2003 Art. 7 Abs. 1-2; TVG § 1 Abs. 1; BGB § 611 Abs. 1, § 362 Abs. 1, § 366 Abs. 2; SGB VI § 43 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 30.09.2009; Aktenzeichen 13 Ca 2046/09) |
Nachgehend
BAG (Aktenzeichen 9 AZR 398/10) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 30. September 2009, 13 Ca 2046/09, und die Anschlussberufung der Klägerin werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 18% und die Beklagte zu 82%.
Für die Beklagte wird die Revision zugelassen. Für die Klägerin wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug noch um Urlaubsabgeltung.
Die im Dezember 1947 geborene Klägerin war seit dem 01. August 1991 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger als Verkäuferin/Kassiererin beschäftigt. Seit 17. August 2007 war sie durchgängig arbeitsunfähig erkrankt. Mit Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 29. August 2008 (Bl. 13 d. A.) wurde ihr rückwirkend ab 01. September 2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt. Mit Schreiben vom 18. Februar 2009 (Bl. 3 d. A.) erklärte die Beklagte gegenüber der Klägerin die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 28. Februar 2009. Hiergegen hat die Klägerin Kündigungsschutzklage erhoben, wobei sie sich dann aber nur noch gegen die Nichteinhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist gewandt hat. Außerdem hat sie Urlaubsabgeltung ihres gesetzlichen Urlaubsanspruchs begehrt und hierbei für 2008 und 2009 jeweils den vollen Urlaubsanspruch und für 2007 einen restlichen Urlaubsanspruch angesetzt. In diesem Zusammenhang haben die Parteien insbesondere darüber gestritten, ob der Klägerin trotz dauerhafter krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und rückwirkender Rentenbewilligung wegen voller Erwerbsunfähigkeit ein Urlaubsabgeltungsanspruch zusteht. Wegen der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug und der dort zuletzt gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (Bl. 63 bis 66 d. A.).
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat durch am 30. September 2009 verkündetes Urteil, 13 Ca 2046/09, festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 18. Februar 2009 nicht zum 28. Februar 2009, sondern erst zum 31. August 2009 aufgelöst worden ist und die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von 3.816,00 EUR brutto an die Klägerin verurteilt. Es hat hierbei eine Urlaubsabgeltung für den gesetzlichen Urlaubsanspruch für die Jahre 2008 und 2009 zugesprochen und die Auffassung vertreten, der Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin sei trotz dauerhafter Arbeitsunfähigkeit während des Bezugszeitraums und über das Ende des Übertragungszeitraums hinaus nicht erloschen. Es hat sich hierbei insbesondere auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH 20. Januar 2009 – C-350/06, C-520/06 – NZA 2009, 135 (Schultz-Hoff)) und die neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach der Anspruch auf Abgeltung gesetzlichen Voll- oder Teilurlaubs nicht erlösche, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres bzw. des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig ist (BAG 24. März 2009 – 9 AZR 983/07 – AP BUrlG § 7 Nr. 39), bezogen. Ein Abgeltungsanspruch für einen Teilurlaub aus dem Urlaubsjahr 2007 stehe der Klägerin dagegen nicht zu. Nachdem die Klägerin nicht bestritten habe, dass ihr vom 18. Mai 2007 bis 21. Mai 2007 und vom 13. Juni 2007 bis 08. Juli 2007 Urlaub gewährt worden sei, sei der gesetzliche Urlaubsanspruch für 2007 von der Beklagten erfüllt. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei nicht davon auszugehen, dass...