Entscheidungsstichwort (Thema)
Stilllegung einer selbständigen deutschen Niederlassung eines ausländischen Unternehmens. Änderungskündigung bei Stilllegung deutscher Niederlassung. Weiterbeschäftigung im Ausland bei Schließung der deutschen Niederlassung
Leitsatz (amtlich)
Eine ausländische Gesellschaft mit begrenzter Haftung, die in Deutschland einen Betrieb als selbständige Niederlassung (§ 13e HGB) ohne eigene Rechtspersönlichkeit unterhält, legt diesen Betrieb im Rechtsinne still, wenn sie allen nach deutschem Recht beschäftigten Arbeitnehmern die Kündigung erklärt und die betriebliche Organisation auflöst, auch wenn verbliebene Aufgaben anderen Arbeitnehmern (ihrer Gesellschaft oder einer anderen Konzerngesellschaft) zugewiesen werden, die in anderen Niederlassungen in Europa unter der Rechtsordnung des jeweiligen Standorts (zumindest teilweise in einer Matrixstruktur) arbeiten.
Die Kündigung eines Arbeitnehmers verstößt aber gegen § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 b), S. 3 KSchG, wenn diesem nicht im Wege der Änderungskündigung eine gleich- oder geringerwertige freie Stelle bei einer anderen Niederlassung der Beklagten ohne eigene Rechtspersönlichkeit in einem anderen Land angeboten wird, die einer anderen Rechtsordnung untersteht ("Betrieb im Ausland") und keine Auswahlentscheidung zu treffen ist (vgl. gegen Weiterbeschäftigung in Betrieb im Ausland: BAG 24.09.2015 - 2 AZR 3/14 -; BAG 29.08.2013 - 2 AZR 809/12 -).
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1; ZPO § 92 Abs. 1, § 138 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 10.03.2021; Aktenzeichen 11 Ca 1830/20) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten wird unter Zurückweisung der Berufung des Klägers im Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 10. März 2021 – 11 Ca 1830/20 – teilweise abgeändert und klarstellend wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten vom 26. Februar 2020 nicht aufgelöst worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 81 % die Beklagte 19 % zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen eine betriebsbedingte Kündigung und verlangt seine Weiterbeschäftigung. Hilfsweise begehrt er eine höhere Sozialplanabfindung, weiter hilfsweise Schadenersatz nach § 15 Abs. 1 AGG.
Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Limited) mit Sitz in Irland und gehört dem A-Konzern an. Sie unterhielt als ausländische Gesellschaft in Frankfurt am Main eine selbstständige Zweigniederlassung ohne eigene Rechtsfähigkeit. Für die Zweigniederlassung war ein Betriebsrat gebildet. Der Niederlassung wurden 45 Arbeitnehmer zugerechnet, die nicht alle vom Betrieb Frankfurt aus, sondern teilweise im Außendienst oder im Homeoffice arbeiteten. Nach der dem Betriebsrat anlässlich der Kündigung aller Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter der Zweigniederlassung Frankfurt übergebenen Mitarbeiterliste (Anlage K4 zum Schriftsatz der Beklagten vom 28. August 2020, Bl. 82 d.A.) betraf dies 27 von 45 Personen.
Die Parteien sind im ersten Rechtszug – rechtlich fehlerhaft – davon ausgegangen, dass die Niederlassung in Frankfurt („Office Frankfurt“) eine eigene Rechtspersönlichkeit besaß.
Die Beklagte unterhielt 13 weitere selbständige Zweigniederlassungen außerhalb der Republik Irland in Europa, so z.B. in Wien (Österreich), Vilnius (Litauen) und Warschau (Polen). Die Niederlassungen in Wien, Vilnius und Warschaus bestehen neben anderen Niederlassungen fort.
Zumindest die Zweigniederlassung Wien („Office Austria“) besitzt ebenfalls keine eigene Rechtspersönlichkeit (vgl. Auszug aus dem Firmenbuch des Handelsgerichts Wien zu FN ..., Anlage 12 zum Schriftsatz der Beklagten vom 16. August 2021, Bl. 364-366 d.A.).
Die Beklagte setzt ihre Arbeitnehmer innerhalb einer Matrixorganisation ein. Dabei arbeiten auch Arbeitnehmer verschiedener selbständiger Zweigniederlassungen in unterschiedlichen Staaten außerhalb Irlands zusammen.
Aufgabe des Office Frankfurt war neben dem Vertrieb des Finanztransfergeschäfts, also der Zusammenarbeit mit Netzwerkagenturen und Agents, das Erbringen vertriebsnaher Dienstleistungen in den Bereichen Compliance, Regulatorik und Marketing.
Der am xx.xx.1966 geborene, ledige Kläger, der aus Costa Rica stammt, die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt und keine Unterhaltspflichten hat, arbeitete seit 1. März 2002 für eine Gesellschaft des A-Konzerns in Costa Rica, ab 2009 war er für eine Konzerngesellschaft in Panama tätig.
Mit Datum vom 28. Januar 2010 schloss der Kläger mit der Beklagten einen Anstellungsvertrag, wonach er seit 1. November 2009 für diese als Senior Regional Operations Manager arbeitete. Als Arbeitsort war Frankfurt bestimmt (Ziff. 3.1 des Vertrages), die Parteien vereinbarten die Geltung deutschen Rechts (Ziff. 17.1 des Vertrages). Zur vollständigen Wiedergabe des Inhalts des Anstellungsvertrags wird auf die Anlage K1 zur Klageschr...