Entscheidungsstichwort (Thema)

Entschädigung wegen Benachteiligung aufgrund Behinderung. keine Einladung zum Vorstellungsgespräch. Unterrichtungspflicht. Widerlegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Unterrichtungspflicht des § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX bezieht sich nur auf den Tatbestand des § 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX und betrifft damit nur Fälle, in denen der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht nicht erfüllt und die Schwerbehindertenvertretung oder eine in § 95 SGB IX genannte Vertretung mit der beabsichtigten Entscheidung nicht einverstanden ist.

2. Zur Widerlegung der Benachteiligungsvermutung kann sich der Arbeitgeber auf alle geeigneten objektiven Tatsachen berufen. Daran ist er nicht durch eine fehlende Unterrichtung nach § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX gehindert. Allerdings kann sich ein öffentlicher Arbeitgeber nur auf solche Auswahlgründe stützen, die dokumentiert sind. Im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens ist zwar die Ergänzung, nicht aber die Nachholung der Dokumentation zulässig.

3. Da die Entschädigung nicht dem Ausgleich materieller Schäden dient, sondern als Ausgleich für die Verletzung des Persönlichkeitsrechts gewährt wird, kann die Höhe der Entschädigung nicht davon abhängig gemacht werden, ob der Bewerber inzwischen einen anderen Arbeitsplatz gefunden hat. Aus dem gleichen Grund kann auch nicht berücksichtigt werden, dass ein Kläger nur eine Stelle hätte antreten können, wenn ein Arbeitgeber in mehreren Stellenbesetzungsverfahren wegen Benachteiligung eine Entschädigung an den Bewerber zu zahlen hat.

 

Orientierungssatz

1. Zur Darlegungs- und Beweislast bei einer Entschädigungsklage eines schwerbehinderten Menschen wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot (hier erfolgte entgegen § 82 SGB 9 weder eine Meldung über den zu besetzenden Arbeitsplatz bei der Bundesagentur für Arbeit noch eine Einladung zum Vorstellungsgespräch).

2. Muss ein Arbeitnehmer aufgrund einer Kündigung mit dem Verlust seines Arbeitsplatzes rechnen, spricht die Zahl von 120 Bewerbungen innerhalb von zwei Jahren nicht gegen die Ernsthaftigkeit der Bewerbung.

3. Teilweise Parallelentscheidung Hessisches Landesarbeitsgericht, 28. August 2009, Az: 19/3 Sa 1636/08.

 

Normenkette

AGG § 15 Abs. 2, §§ 22, 6 Abs. 1 S. 2; SGB IX § 81 Sätze 1-2; AGG § 7 Abs. 1; SGB IX § 81 Abs. 1 Sätze 9, 7; AGG §§ 1, 3 Abs. 1 S. 1; SGB IX § 81 Abs. 1 Sätze 4, 8, Abs. 2, 1 S. 6, § 95 Abs. 2 S. 3; BGB § 242

 

Verfahrensgang

ArbG Darmstadt (Urteil vom 24.09.2008; Aktenzeichen 5 Ca 122/08)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 24. September 2008 – 5 Ca 122/09 – wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 24. September 2008 – 5 Ca 122/08 – teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.318,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz hieraus seit dem 08. April 2008 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger 77 % und die Beklagte 23 % zu tragen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger 73 % und die Beklagte 27 % zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte an den Kläger eine Entschädigung wegen Benachteiligung aufgrund Behinderung zu zahlen hat.

Die Beklagte ist eine Gebietskörperschaft. Bei ihr waren im Jahr 2007 6,1% der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt. Ohne die Agentur für Arbeit einzuschalten, schrieb die Beklagte am 13. Oktober 2007 vier Stellen aus. Neben einer Stelle für einen „Fachangestellten für Bäderbetriebe” gehörte dazu eine befristete Teilzeitstelle im Bürgerbüro mit 18 Wochenstunden und einer Bruttomonatsvergütung von 865,36 Euro, für die ein sicherer Umgang mit dem Publikum erwartet wurde; es wurde darauf hingewiesen, dass Kenntnisse des Pamela Programm von Vorteil seien. Dazu gehörte weiter eine unbefristete Teilzeitstelle eines Sachbearbeiters Sport und Kultur mit 19,5 Stunden und einer Bruttomonatsvergütung von 1.070 Euro. Als Aufgabengebiet war die Zusammenarbeit mit und die Förderung von Vereinen, die Planung und Durchführung kultureller Veranstaltungen, die Terminkoordinierung der gemeindlichen Einrichtungen, die Betreuung von Städtepartnerschaften und die Verwaltung sowie Betreuung der kommunalen Kindergärten/ Kindertagesstätten angegeben. Für diese Aufgaben setzte die Beklagte laut Stellenausschreibung Organisationsgeschick, die Bereitschaft zur Übernahme von Tätigkeiten auch außerhalb der Regelarbeitszeit und PC-Kenntnisse voraus. Schließlich war eine unbefristete Vollzeitstelle eines Verwaltungsfachangestellten im Bereich der Hauptverwaltung mit einer Bruttomonatsvergütung von 2.140 Euro ausgeschrieben. Zu den Aufgaben gehörten laut Stellenausschreibung die Vorbreitung/ Durchführung von Wahlen, die Organisation, Einbürgerung, das Satzungsrecht und die Sitzungsvorbe...

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