Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilanfechtung eines in Vollzug gesetzten Arbeitsvertrages. Unzulässigkeit der Teilanfechtung eines in Vollzug gesetzten Arbeitsvertrages
Leitsatz (redaktionell)
Hat der Arbeitgeber zu erkennen gegeben, dass der Arbeitsvertrag der Parteien nicht vollständig beseitigt werden, sondern nur eine Anpassung durch die Beseitigung des einzelnen Satzes erfolgen soll, handelt es sich um eine sog. Teilanfechtung, die - wird sie unter der Voraussetzung erklärt, dass der Bestand des Rechtsgeschäfts im Übrigen unberührt bleibt, unzulässig ist.
Normenkette
BGB §§ 142, 139
Verfahrensgang
ArbG Kassel (Entscheidung vom 30.11.2011; Aktenzeichen 5 Ca 152/11) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 30. November 2011 - 5 Ca 152/11 - abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.817,92 EUR (in Worten: Sechstausendachthundertsiebzehn und 92/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 568,16 EUR (in Worten: Fünfhundertachtundsechzig und 16/100 Euro) brutto seit 01.08.2010, 01.09.2010, 01.10.2010, 01.11.2010, 01.12.2010, 01.01.2011, 01.02.2011, 01.03.2011, 01.04.2011, 01.05.2011, 01.06.2011 und 01.07.2011 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger auch über den 01.07.2011 hinaus Vergütung nach der Entgeltgruppe 11 des Tarifvertrages Versorgungsbetriebe (TV-V) zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten wegen eines Anspruchs auf Erhöhung der Arbeitsvergütung um eine Teilanfechtung des Arbeitsvertrages.
Der am XX.XX.19XX geborene Kläger ist seit 01. Januar 2010 bei der Beklagten, einem Versorgungsunternehmen mit Sitz in A, als Vertriebsmitarbeiter für den Stromverkauf beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag Versorgungsbetriebe (TV-V) Anwendung.
Der Kläger, der sich aus eigener Initiative bei der Beklagten um eine Stelle als kaufmännischer Angestellter im Vertrieb beworben hatte, äußerte bei einem Vorstellungsgespräch den Wunsch, ca. 55.000,00 € brutto im Jahr zu verdienen. Die Beklagte bot für die Stelle "Sachbearbeiter Segment 100+" zunächst nur eine Vergütung von ca. 39.000,00 € brutto im Jahr.
Nachdem die Besetzungskommission der Beklagten sich für den Kläger entschieden und der Betriebsrat dessen Einstellung zugestimmt hatte, erstellte die Beklagte durch ihre Personalabteilung einen Arbeitsvertrag, welchen sie dem Kläger mit Begleitschreiben vom 19. November 2009 übersandte. Wegen des Inhalts des Begleitschreibens wird auf die Anlage K 2 zur Klageschrift verwiesen (Bl. 6 d.A.). Im Arbeitsvertrag vom 19. November 2009, welchen der Kläger unterzeichnete, ist zur Vergütung geregelt:
"Der/Die Arbeitnehmerin ist in der Entgeltgruppe 9, Stufe 4 der Anlage 1 zum TV-V eingruppiert (§ 5 Abs. 1 TV-V). Die Eingruppierung ändert sich nach 6 Monaten in die Entgeltgruppe 11."
Wegen des Inhaltes des Vertrags im Übrigen wird auf die zur Akte gereichte Kopie Bezug genommen (Anlage K 1 zur Klageschrift, Bl. 5 d.A.).
Nach Ablauf der ersten sechs Beschäftigungsmonate erhielt der Kläger keine Gehaltserhöhung. Der Kläger wandte sich deshalb spätestens am 30. August 2010 mit einer E-Mail an die Personalsachbearbeiterin Frau B. Auf den Inhalt der E-Mail wird Bezug genommen (Anlage K 3 zur Klageschrift, Bl. 7 d.A.). Der Kläger hat behauptet, er habe wegen der ausgebliebenen Gehaltserhöhung bereits am 16. August 2010 mit Frau B telefoniert, was die Beklagte bestreitet.
Der Kläger erhielt am 10. September 2010 ein Schreiben der Beklagten mit Datum vom 09. September 2010, welches auszugsweise folgenden Inhalt hat (Anlage K 4 zur Klageschrift, Bl. 8 d.A.):
"(...) in Ihrem Arbeitsvertrag ist uns ein offensichtlicher Fehler unterlaufen, den wir mit diesem Schreiben korrigieren möchten. Unter § 4 Eingruppierung Satz 2 ist entgegen unseren Absprachen der Hinweis "Die Eingruppierung ändert sich nach 6 Monaten in die Entgeltgruppe 11." erschienen. (...) Da es sich bei dem Schriftstück zu diesem Punkt um einen Irrtum auf unserer Seite handelt, ist der Zusatz zurückzunehmen. (...)"
Der Kläger wandte sich mit diesem Schreiben an seinen Vorgesetzten Wacholder, der ihm eine Überprüfung und einen Antrag auf Höhergruppierung ankündigte. Außerdem bat der Kläger den Betriebsrat um Hilfe. Es wurden Versuche einer Einigung unternommen. Mit E-Mail vom 08. Dezember 2010 bestätigte die Beklagte dem Kläger, dass ein Bewertungsantrag über seine Stelle eingegangen sei und bat ihn um Geduld (Anlage K 9 zum Schriftsatz des Klägers vom 04. November 2011, Bl. 56 d.A.). Eine endgültige ablehnende Antwort erhielt der Kläger am 10. Mai 2011 (Anlage K 10 zum Schriftsatz des Klägers vom 04. November 2011, Bl. 57 d.A.). Folgend wandte sich der Kläger mit Schreiben seines späteren Prozessbevollmächtigten vom 19. Mai 2011 und 24. Juni 2011 an die Beklagte (Anlagen K 5, K 6 zur Klageschrift, Bl. 9, 10 d.A.). Die Beklagte lehnte mit Schreiben ...