Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Jugendvertreterin
Leitsatz (amtlich)
1. a) Hat der Betriebsrat die Zustimmung zu einer vom Arbeitgeber beabsichtigten fristlosen Entlassung eines Jugendvertreters (oder eines anderen der in § 103 Abs. 1 BetrVG genannten Amtsträger) verweigert und hat der Arbeitgeber daraufhin beim Arbeitsgericht nach § 103 Abs. 2 BetrVG im Beschlußverfahren die Ersetzung der Zustimmung beantragt, dann kann er die fristlose Kündigung noch vor Abschluß des Beschlußverfahrens aussprechen, sobald das Amt des Jugendvertreters und damit die Zustimmungsbedürftigkeit seiner Entlassung endet. Der Arbeitgeber darf mit dem Ausspruch der fristlosen Kündigung nicht bis zum rechtskräftigen Abschluß des Beschlußverfahrens warten, sonst läuft er Gefahr die Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu versäumen (So auch BAG vom 24.4.1975, 2 AZR 118/74 = AP Nr. 3 zu § 103 BetrVG 1972; So auch BAG vom 30.5.1978, 2 AZR 637/76 = AP Nr. 4 zu § 15 KSchG 1969).
b) Die Anhörung des Betriebsrates nach § 102 Abs. 1 BetrVG bleibt auch für diesen Fall notwendig; es ist zweifelhaft, ob der an den Betriebsrat gerichtete Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zur fristlosen Entlassung nach § 103 Abs. 1 BetrVG die Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG mitumfaßt, wenn zwischen der Antragstellung und dem Zeitpunkt der Kündigung erhebliche Zeit vergangen ist.
2. a) Einen Sachverhalt, der nach eigener Auffassung des Arbeitgebers nicht ausreicht, die fristlose Entlassung eines Betriebsratsmitgliedes (oder eines anderen in § 103 Abs. 1 BetrVG und § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG genannten Amtsträgers) zu begründen, sondern allenfalls eine fristgerechte Kündigung, kann der Arbeitgeber nach Ablauf der Amtszeit des Betriebsrates und des nachwirkenden Kündigungsschutzes nach § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG nicht zur Begründung einer fristgerechten Kündigung heranziehen. Das gleiche gilt, wenn der Betriebsrat die Zustimmung zur fristlosen Entlassung verweigert und die Gerichte für Arbeitssachen den Antrag des Arbeitgebers auf Ersetzung der Zustimmung rechtskräftig zurückgewiesen haben.
b) Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Auffassung des Arbeitgebers, zur fristlosen Entlassung des Betriebsratsmitgliedes (oder anderen Amtsträgern) berechtigt zu sein, in dem von ihn; anhängig gemachten arbeitsgerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahren nicht sachlich geprüft worden ist (z. B. wegen Einstellung des Verfahrens oder bei Abweisung des Antrages wegen Unzulässigkeit).
2. Ein kündigungsrechtlich erheblicher Sachverhalt kann durch Zeitablauf an Bedeutung verlieren.
Hat ein Arbeitnehmer für längere Zeit die Arbeit unberechtigt versäumt und setzen die Arbeitsvertragsparteien danach das Arbeitsverhältnis für geraume Zeit fort, ohne daß es zu weiteren Störungen kommt, dann kann die Vertragsverletzung des Arbeitnehmers durch die Weiterbeschäftigung so an Gewicht verlieren, daß eine fristgerechte Kündigung durch den Arbeitgeber nun nicht mehr begründet ist; im Regelfall müssen die Parteien das Arbeitsverhältnis nach Beendigung der Störung sechs Monate lang fortgesetzt haben.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1-2; KSchG § 1 Abs. 1-2, § 15 Abs. 1; BetrVG § 102 Abs. 1, § 103
Verfahrensgang
ArbG Offenbach am Main (Urteil vom 21.10.1987; Aktenzeichen 1 Ca 216/87) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 21. Oktober 1987 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main – 1 Ca 216/87 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Tatbestand
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Kraftfahrzeugbranche, die u. a. in D. (Landkreis O.) einen Instandsetzungsbetrieb unterhält.
Die am 19. August 1960 geborene Klägerin ist gelernte Kraftfahrzeugmechanikerin. Sie war seit den 1. September 1979 in ihrem erlernten Beruf bei der Beklagten in deren D. Betrieb beschäftigt. Wegen der Einzelheiten der von den Parteien getroffenen Vereinbarungen wird auf die Fotokopie des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 14. Februar 1983 (Bl. 23–25 d.A.) Bezug genommen. Die Klägerin war Vertrauensfrau der IG Metall und seit 1. Juli 1984 Jugendvertreterin.
Im November 1985 wurde von einer Ärztin festgestellt, daß die Klägerin wegen einer Wirbelsäulenerkrankung die bei einer Kraftfahrzeugmechanikerin ständig anfallenden Arbeiten mit häufigem Bücken und über Kopf vermeiden sollte (vgl. Gutachten Bl. 38 f. d.A.). Daraufhin bemühte sich die Klägerin um eine Umschulung. Das Arbeitsamt D. vermittelte ihr eine Umschulung zur Maschinenbautechnikerin, die beim Berufsfortbildungswerk in H. durchgeführt werden sollte. Die geplante Dauer der Umschulung betrug zwei Jahre.
Im Verlaufe des Monats Januar 1986 teilte das Berufsfortbildungswerk in H. der Klägerin mit, daß ihre Umschulung am 27. Januar 1986 beginnen werde. Dies teilte die Klägerin der Beklagten durch Schreiben vom 21. Januar 1986 mit, wegen dessen Inhalt auf die Fotokopie Bl. 26 d.A. verwiesen wird. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 22. Januar 1986, in dem sie u. a. mitteilte, aufgrund der Sachdarstell...