Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Geltendmachung der Erhöhung der Verfahrensgebühr nach Nr 1008 RVG-VV erst nach Kostenfestsetzung durch den Urkundsbeamten

 

Leitsatz (amtlich)

Ausnahmsweise kann der Rechtsanwalt nach Kostenfestsetzung durch den Urkundsbeamten weitere Kosten geltend machen, wenn er einen gesetzlichen Gebührentatbestand (erkennbar) übersehen hat.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 9. Juni 2010 geändert.

Die Vergütung der Beschwerdeführerin für ihre Tätigkeit als beigeordnete Rechtsanwältin in dem Rechtsstreit S 21 AS 918/07 wird auf insgesamt 399,84 € festgesetzt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Gießen X. (Kläger) gegen die JobKOMM GmbH (Beklagte) - S 21 AS 918/07 - stritten die Beteiligten um die Zahlung von 40,00 € monatlich mehr an Kosten für Unterkunft. Die Klageerhebung war am 1. Oktober 2007 erfolgt, zugleich war ein Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gestellt worden. Mit Beschluss vom 20. Dezember 2007 bewilligte das Sozialgericht Gießen den Klägern Prozesskostenhilfe für das Verfahren S 21 AS 918/07 und ordnete die Beschwerdeführerin als Rechtsanwältin ab 18. Oktober 2007 bei. Die Beklagte erkannte einen Anspruch der Kläger auf 5,00 € monatlich mehr an. Die Kläger nahmen daraufhin das Teilanerkenntnis an und erklärten den Rechtsstreit am 2. September 2008 für erledigt. Gleichzeitig beantragte die Beschwerdeführerin die Festsetzung der Kosten. Mit Kostenbeschluss vom 26. März 2010 entschied das Sozialgericht Gießen, dass die Beklagte den Klägern 1/8 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten habe.

Mit Rechnung vom 4. Dezember 2008 machte die Beschwerdeführerin eine Vergütung in Höhe von insgesamt 464,10 € geltend (Verfahrensgebühr in Höhe von 170,00 € und Terminsgebühr in Höhe von 200,00 €). Der Urkundsbeamte setzte mit Beschluss vom 6. März 2009 eine Vergütung in Höhe von 226,10 € fest (170,00 € Verfahrensgebühr, keine Terminsgebühr).

Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 6. März 2009 legte die Beschwerdeführerin am 13. März 2009 Erinnerung ein, mit der sie nunmehr die Vergütung in Höhe von insgesamt 524,79 € berechnete. Die höhere Rechnung ergab sich dadurch, dass die Beschwerdeführerin nunmehr auch die Nr. 1008 des Vergütungsverzeichnisses der Anlage 1 zum RVG (§ 2 Abs. 2 RVG) - VV-RVG - in Höhe von 51,00 € in Ansatz brachte.

Mit Beschluss vom 9. Juni 2010 wies das Sozialgericht die Erinnerung der Beschwerdeführerin zurück. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus, eine Terminsgebühr nach der Nr. 3106 VV-RVG sei nicht festzusetzen. Der Rechtsstreit sei nach Annahme eines Teilanerkenntnisses für erledigt erklärt worden. Unter Anerkenntnis im Sinne der Nr. 3106 Nr. 3 VV-RVG sei ein Anerkenntnis im Sinne von § 101 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verstehen. Damit sei gemeint, dass bezüglich des geltend gemachten Anspruchs ein vollständiges Zugeständnis der Beklagten ergehe. Ein Teilanerkenntnis sei kein vollständiges Zugeständnis der Beklagten. Aus diesem Grunde reiche ein Teilanerkenntnis zur Entstehung der Terminsgebühr nicht aus. Die Festsetzung der Gebühr nach der Nr. 1008 VV-RVG sei mit der Kostenrechnung vom 4. Dezember 2008 nicht beantragt worden. Die Festsetzung der Verfahrensgebühr sei insoweit antragsgemäß erfolgt. Eine Erhöhung der Verfahrensgebühr könne nach der Festsetzung durch den Urkundsbeamten nicht mehr geltend gemacht werden.

Gegen den ihr am 18. Juni 2010 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin am 29. Juni 2010 Beschwerde eingelegt. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, es sei bisher nicht berücksichtigt worden, dass hilfsweise die Festsetzung einer Einigungsgebühr nach der Nr. 1005 VV-RVG beantragt worden sei. Die Rechtssache habe sich nach Teilabhilfe durch anwaltliche Mitwirkung erledigt. Daher sei zumindest eine Erledigungsgebühr entstanden. Es sei auch eine Erledigungsgebühr in Höhe von 200,00 € angemessen. Die Mittelgebühr betrage 280,00 €. Da vorliegend von einer durchschnittlichen anwaltlichen Tätigkeit auszugehen sei und letztendlich eine Gebühr unter der Mittelgebühr gefordert werde, bewege sich diese im Rahmen des Ermessensspielraums des Rechtsanwaltes.

Die Beschwerdeführerin beantragt (sinngemäß),

den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 9. Juni 2010 aufzuheben und die Vergütung für ihre Tätigkeit in dem Rechtsstreit S 21 AS 918/07 auf insgesamt 524,79 € festzusetzen.

Der Beschwerdegegner beantragt (sinngemäß),

die Beschwerde zurückzuweisen.

Nach Auffassung des Beschwerdegegners ist die Festsetzung einer fiktiven Terminsgebühr nach der Nr. 3106 Nr. 3 VV-RVG aufgrund des Teilanerkenntnisses zu Recht abgelehnt worden. Die Abgabe eines Teilanerkenntnisses reiche zur Erfüllung der Entstehungsvoraussetzungen einer fiktiven Terminsgebühr nicht aus. Auch eine analoge Anwendung der Regelunge...

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