Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Angemessenheit der Unterkunftskosten. selbst genutztes Hausgrundstück. Betriebskosten. Erhaltungsaufwand für Dachreparatur. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
Zu den übernahmefähigen tatsächlichen Unterkunftskosten gemäß § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 gehört bei selbstgenutztem nicht zu verwertendem Wohneigentum auch der Erhaltungsaufwand iS des § 7 Abs 2 Nr 4 VO zu § 82 SGB XII (juris: BSHG§76DV) (vgl LSG Darmstadt vom 31.10.2006 - L 9 AS 189/06 ER = EuG 2007, 201 mwN). Der übernahmefähige Erhaltungsaufwand ist unterkunftsrechtlich nach § 22 Abs 1 SGB 2 eigenständig zu bestimmen. Er ist auch zur Wahrung des Eigentumsschutzes aus Art 14 Abs 1 GG grundsätzlich unabhängig von Art und Umfang zu übernehmen, soweit er erforderlich ist, um die Nutzung des Wohneigentums mit einfachem Wohnstandard zu erhalten, und unter Berücksichtigung aller übernahmefähigen Kosten die für Wohneigentum und Mietunterkünfte gleichermaßen geltende Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs 1 S 2 SGB 2 nicht übersteigt (entgegen LSG Celle-Bremen vom 31.3.2006 - L 7 AS 343/05 ER, LSG Berlin-Potsdam vom 9.5.2006 - L 10 AS 102/06 = FEVS 58, 414 und LSG Chemnitz vom 16.11.2005 - L 2 B 68/05 AS ER = NDV-RD 2006, 10). Offenbleiben kann, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall eine mit dem Erhaltungsaufwand verbundene erhebliche Wertsteigerung, der sogenannte Herstellungsaufwand, einer Kostenübernahme durch den Leistungsträger entgegensteht.
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 20. Oktober 2006 abgeändert und die Antragsgegnerin vorläufig bis zur Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache verpflichtet, an den Antragsteller darlehensweise 2.175,70 Euro zuzüglich Umsatzsteuer ohne Rückzahlungsverpflichtung vor Erledigung der Hauptsache zu zahlen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu 80 % zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 20. Oktober 2006, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (9. November 2006), mit dem sinngemäßen Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 20. Oktober 2006 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bis zu einer Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache an den Antragsteller darlehensweise 2.787,00 Euro zuzüglich Umsatzsteuer zu zahlen,
ist zulässig und hat im tenorierten Umfang in der Sache Erfolg.
Ist einstweiliger Rechtsschutz weder durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt noch die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes (§ 86b Abs. 1 SGG) zu gewährleisten, kann nach § 86 b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung - vorläufige Sicherung eines bestehenden Zustandes -). Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis statthaft, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung - vorläufige Regelung zur Nachteilsabwehr -). Bildet ein Leistungsbegehren des Antragstellers den Hintergrund für den begehrten einstweiligen Rechtsschutz, ist dieser grundsätzlich im Wege der Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG zu gewähren. Danach muss die einstweilige Anordnung erforderlich sein, um einen wesentlichen Nachteil für den Antragsteller abzuwenden. Ein solcher Nachteil ist nur anzunehmen, wenn einerseits dem Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch in der Hauptsache - möglicherweise - zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihm andererseits nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund).
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr stehen beide in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (HLSG vom 29. Juni 2005 - L 7 AS 1/05 ER; Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 86b, Rn. 27 und 29 m.w.N.): Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich b...