Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Angemessenheit der Heizkosten. keine Pauschalierung. keine Aufrechnung zur Tilgung eines Mietkautionsdarlehens. Berücksichtigung der Pfändungsgrenzen des § 850c ZPO. unzulässige Rechtsausübung
Orientierungssatz
1. Für die Angemessenheit der Heizkosten iS des § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 ist auf die Vorauszahlungen aufgrund des Mietvertrages oder aufgrund der Festsetzungen der Energieversorgungsunternehmen abzustellen, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte für ein unwirtschaftliches und damit unangemessenes Heizverhalten vorliegen (vgl LSG Darmstadt vom 21.3.2006 - L 9 AS 124/05 ER = EuG 2007, 233); diese Anhaltspunkte sind im Zweifel vom Leistungsträger konkret darzulegen und ggf zu beweisen.
2. Da in § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 die Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, soweit diese angemessen sind, geregelt ist, ist die Anwendung von Pauschalbeträgen für bestimmte Brennstoffe nicht gesetzeskonform.
3. Für die Frage der Rechtmäßigkeit einer Rückzahlungsvereinbarung im Darlehensvertrag ist auf § 51 Abs 1 SGB 1 abzustellen; insoweit ist der Einbehalt von Teilen der laufenden Grundsicherungsleistung als Aufrechnung zu beurteilen (vgl LSG Stuttgart vom 6.9.2006 - L 13 AS 3108/06 ER = info also 2007, 119).
4. Ein Darlehen für eine Mietkaution nach § 22 Abs 3 S 3 SGB 2 ist grundsätzlich dann zins- und tilgungsfrei zu gewähren, wenn die gewährten laufenden Grundsicherungsleistungen die Pfändungsgrenzen des § 850c Abs 1 ZPO nicht übersteigen.
5. In Anwendung des § 242 BGB iVm § 61 S 2 SGB 10 ist es dem Leistungsträger jedenfalls dann verwehrt, sich auf die Tilgungsvereinbarung als Rechtsgrundlage für die Aufrechnung zu berufen, wenn die Aufnahme der rechtswidrigen Rückzahlungsvereinbarung in den Darlehensvertrag durch den Leistungsträger veranlasst wurde; dies würde sonst eine unzulässige Rechtsausübung darstellen. Gleiches gilt für den Fall, dass in der Tilgungsvereinbarung ein Verzicht iS des § 46 Abs 1 Halbs 1 SGB 1 gesehen wird. Auch hier würde eine unzulässige Rechtsausübung vorliegen, wenn der Verzicht vom Leistungsträger - rechtswidrig - herbeigeführt wurde.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 27. März 2007 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die notwendigen außergerichtlichen Kosten auch des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
I.
Die am 27.04.2007 bei dem Sozialgericht Kassel eingegangene Beschwerde der Antragsgegnerin, der das Sozialgericht mit Entscheidung vom 30.04.2007 nicht abgeholfen hat, mit dem sinngemäßen Antrag, den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 27.03.2007 aufzuheben und den Antrag der Antragsteller zurückzuweisen ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zunächst zu Recht verpflichtet, an die Antragsteller vorläufig bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens weitere Kosten für die Heizung in Höhe von 26,46 € zu zahlen. Insoweit liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung vor.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein Rechtsverhältnis gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist sowohl ein Anordnungsanspruch (d.h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines materiellen Leistungsanspruchs) als auch ein Anordnungsgrund (d.h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), die glaubhaft zu machen sind (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Zivilprozessordnung -ZPO -). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebotes, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes -GG -), ist von diesem Grundsatz jedoch dann abzuweichen, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare später nicht wiedergutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 -BVerfGE 79, 69 ff.). Weiter ist zu berücksichtigen, dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern eine Wechselbeziehung besteht. Die Anforderungen an den Anordnungsanspruch sind mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Beschluss des 7. Senates des Hessischen Landessozialgerichts vom 29.06.2005, Az. L 7 AS 1/05 ER; Meyer-Ladewig, SGG, § 86b, Rdnr. 28). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige A...