Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Verfahrensgebühr. Bewertung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit. zeitlicher Aufwand. gebührenmindernde Berücksichtigung von Synergieeffekten. Untätigkeitsklage. unstreitige Erledigung durch Übersendung des begehrten Bescheids. kein Anfall einer fiktiven Terminsgebühr. Bescheiderlass. keine Prozesshandlung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Maßgebend für den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit als wesentlichen Bestimmungsfaktor der Verfahrensgebühr ist der zeitliche Aufwand, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben hatte und den er davon objektiv auch auf die Sache verwenden musste. In diesem Zusammenhang sind Synergieeffekte gebührenmindernd zu berücksichtigen.

2. Eine (fiktive) Terminsgebühr entsteht bei unstreitiger Erledigung einer Untätigkeitsklage durch Übersendung des begehrten Bescheides bzw Widerspruchsbescheides nicht (Aufgabe bisheriger Rechtsprechung des Senats).

 

Orientierungssatz

Die bloße Bescheidung des mit der Untätigkeitsklage begehrten Verwaltungsakts ist keine Prozesshandlung. Sie ist eine außergerichtliche Handlung, die das Untätigkeitsklagebegehren lediglich materiell erledigt (vgl LSG Chemnitz vom 4.5.2017 - L 8 AL 73/15 B KO; LSG Hamburg vom 18.12.2015 - L 1 KR 54/15 und LSG Potsdam vom 19.11.2014 - L 32 AS 1145/14 B).

 

Normenkette

RVG § 3 Abs. 1 S. 1, § 14 Abs. 1 S. 1, § 33 Abs. 3 Sätze 1, 3, Abs. 8 S. 3, § 45 Abs. 1, § 56 Abs. 1, 2 S. 1; SGG § 88 Abs. 1 Sätze 2-3, § 101 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, § 183 S. 1, § 197a Abs. 1 S. 1, § 199 Abs. 1 Nr. 1, § 202 S. 1; ZPO § 278 Abs. 6, § 307 S. 1; SGB X § 37 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 7. Mai 2018 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der aus Prozesskostenhilfe festzusetzenden Rechtsanwaltsvergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).

Im Ausgangsverfahren (S 24 AS 1876/13) begehrte der Kläger des Ausgangsverfahrens vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main im Wege der Untätigkeitsklage vom 27. Dezember 2013 die Verurteilung des beklagten Jobcenters zur Bescheidung eines Überprüfungsantrags vom 7. Januar 2013. Dieser richtete sich gegen einen Bescheid des Beklagten vom 19. Januar 2012 und betraf die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. März 2012 bis 31. August 2012. Der Beschwerdeführer hatte zuvor am 2. Dezember 2013 an die Bescheidung des Überprüfungsantrags erinnert. Streitig war in diesem Zusammenhang die Höhe der Kosten der Unterkunft und Heizung. Der Beschwerdeführer erhob zeitgleich fünf weitere Untätigkeitsklagen, in denen es ebenfalls um die Bescheidung von drei weiteren Überprüfungsanträgen vom 7. Januar 2013 bzw. jeweils einen vom 26. März 2013 und 28. März 2013 für Bewilligungsabschnitte aus dem Jahr 2012 (S 24 AS 1884/13, S 24 AS 1885/13, S 24 AS 1886/13, S 24 AS 1887/13 und S 24 AS 1877/13) ging. Der Beklagte teilte am 3. Juni 2014 mit, dass er von dem Inhalt der Überprüfungsanträge erst durch die Übersendung der Klageschrift Kenntnis erhalten habe. Er beschied alle Überprüfungsanträge durch Bescheid vom 16. Juni 2014 und lehnte eine Rücknahme der zur Überprüfung gestellten „Bescheide vom 19.01.2012, 19.07.201, 24.11.2012, 16.07.2012“ ab. Er teilte die Bescheidung dem Sozialgericht am 6. Juli 2015 mit. Der Beschwerdeführer erklärte mit Schriftsatz vom 11. August 2015 das Klageverfahren für erledigt.

Der Beschwerdeführer hatte zuvor mit Klageerhebung die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung beantragt. Nach Übersendung der Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen am 11. August 2015 bewilligte das Sozialgericht durch Beschluss vom 12. August 2015 dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Beschwerdeführers ohne zeitliche Beschränkung.

Mit Schriftsatz vom 22. April 2016 beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung folgende Gebühren aus der Staatskasse:

Verfahrensgebühr, §§ 3, 14 RVG, 3102 VV-RVG

150,00 €

Terminsgebühr, 3106 VV-RVG

135,00 €

Post- und Telekommunikation, Pauschale, 7001/7002 VV-RVG

20,00 €

Zwischensumme netto

305,00 €

19% Umsatzsteuer, 7008 VV-RVG

57,95 €

Gesamtbetrag

362,95 €

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle kürzte die Gebührenrechnung wie folgt:

Verfahrensgebühr, 3102 VV-RVG

125,00 €

Terminsgebühr, 3106 VV-RVG

0,00 €

Post- und Telekommunikation, Pauschale, 7001/7002 VV-RVG

20,00 €

Zwischensumme netto

145,00 €

19% Umsatzsteuer, 7008 VV-RVG

27,55 €

Gesamtbetrag

172,55 €

Hinsichtlich der Kürzung wurde im Beschluss der Urkundsbeamtin vom 25. Mai 2016 ausgeführt, der Beschwerdeführer habe zeitgleich sechs Untätigkeitsklagen identischen Inhalts erhoben, teilweise habe doppelte Rechtshängigkeit vorgelegen. Der Aufwand, den der Beschwerdeführer betrieben habe, sei an der untersten Grenze anzusiedeln. Er habe die Verfahren nicht vorangetrieben, keine Akteneinsicht beantragt, nichts beigetragen und es hätt...

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