Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen. gebundenes Ermessen. Erteilung einer Zusicherung für die Gleichstellung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Liegen die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen für eine Gleichstellung nach § 2 Abs 3 SGB 9 vor, kann es pflichtgemäßen Ermessen der Behörde entsprechen, nicht eine sofortige Gleichstellung auszusprechen, sondern eine entsprechende Zusicherung abzugeben.

2. Eine solche Vorgehensweise entspricht jedenfalls dann dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung, wenn der Antragsteller aktuell keinen Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB 9 inne hat und nach der Beurteilung der Bundesagentur für Arbeit ein Teil der Arbeitgeber einer Einstellung von schwerbehinderten Menschen bzw ihnen gleichgestellten Personen abgeneigt gegenüber steht. In diesem Fall wird dem Arbeitsuchenden durch die Zusicherung die Option offen gehalten, sich auch auf diese Arbeitsplätze zu bewerben. Die Nachteile, die dem Antragsteller durch diese Verfahrensweise erwachsen, sind angesichts der durch die Zusicherung erreichten Verbesserung seiner Wettbewerbssituation zu vernachlässigen.

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 11. Januar 2006 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen gemäß § 2 Abs. 3 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX).

Der 1969 geborene Kläger ist ausgebildeter Schreiner. In seiner letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung arbeitete er vom 22. August 1991 bis 29. Februar 2004 für einen Möbelmarkt im Bereich der Küchenmontage. Ab 1. März 2004 war er arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld. Seit 12. Mai 2005 ist der Kläger selbständig tätig mit einem Montageservice.

Mit Bescheid vom 10. September 2004 stellte das Versorgungsamt C. bei dem Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 und folgende Behinderungen fest: “Wirbelsäulen-Syndrom, depressive Anpassungsstörung„. Unter dem 13. Juni 2005 erteilte das Versorgungsamt D. einen Bescheid, mit dem rückwirkend ab dem 4. Februar 2003 ein GdB von 40 festgestellt wurde. Als zusätzliche Behinderung wurde eine Handgelenk-Versteifung aufgenommen. Im Bescheid ist ferner ausgeführt, die Gesundheitsstörung “Kniegelenksleiden„ stelle keine Behinderung dar, die zu einer fortdauernden Funktionsbeeinträchtigung führe, die mit einem GdB von mindestens 10 zu bewerten sei.

Am 14. Oktober 2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX. Zur Begründung gab er an, dass er sich die Verbesserung der Vermittlungsaussichten/Förderungsmöglichkeiten für zukünftige Arbeitgeber verspreche. Er sei in laufender ärztlicher Behandlung wegen Bandscheibenproblemen, Depressionen, Handgelenksfunktionsminderung sowie Arthrose beidseitig, Kniegelenksleiden.

Mit Datum vom 15. Dezember 2004 erteilte die Beklagte eine Zusicherung gemäß § 34 Zehntes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB X), wonach die Gleichstellung für den Fall erfolgen werde, dass im Zuge der Vermittlungsbemühungen bzw. der eigenen Bemühungen des Klägers zur Erlangung eines Arbeitsplatzes der Arbeitgeber die Einstellung von einer Gleichstellung abhängig mache. Hierüber werde zu gegebener Zeit um schriftliche Unterrichtung gebeten.

Der Kläger erhob Widerspruch und machte insbesondere geltend, aus der Zusicherung ergebe sich, dass von den anerkannten Behinderungen die Gefährdung der Vermittelbarkeit ausgehe bzw. seine Integration auf dem Arbeitsmarkt erschwert werde. Mit der Gleichstellung werde es für ihn leichter, einen Arbeitsplatz zu finden, da die Förderungsfähigkeit sodann bei Vertragsanbahnungsgesprächen mit potenziellen Arbeitgebern bereits fest stehe und er Hilfen des Integrationsamtes bzw. der Integrationsfachdienste bereits in Anspruch nehmen könne. Die Beklagte habe nicht begründet, warum sie die Zusicherung und nicht die Gleichstellung als Bescheidung gewählt habe. Auch ihre Ermessensausübung sei nicht begründet worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers im Gleichstellungsantrag und der in seinem Fall vom Versorgungsamt festgestellten Behinderungen könne eine Benachteiligung der Wettbewerbsfähigkeit des Klägers bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz nicht ausgeschlossen werden. Andererseits habe aus den Vermittlungsbemühungen aber auch nicht die Erkenntnis gewonnen werden können, dass die Behinderung wesentliche Ursache für die bis dato nicht realisierte berufliche Eingliederung gewesen sei. Mit dem Instrument der Zusicherung könne insbesondere solchen Fällen angemessen Rechnung getragen werden, in denen die Anhaltspunkte für behinderungsbedingte Eingliederungsprobleme vergleichsweise schwach ausgeprägt seien. Die Praxis der Arbeitsvermittlung und die...

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