Orientierungssatz
Parallelentscheidung zu dem Beschluss des LSG Darmstadt vom 4.9.2020 - L 4 KA 13/20 B, der vollständig dokumentiert ist.
Nachgehend
Tenor
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 15. Mai 2020 aufgehoben und der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für zulässig erklärt.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten bezüglich der Beschwerde hat die Klägerin zu tragen.
Die weitere Beschwerde an das Bundessozialgericht wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um den Rechtsweg für eine Klage im Zusammenhang mit der kostenmäßigen Einbeziehung des Klägers in den Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) der Beklagten. Der Kläger ist Urologe und Androloge und privatärztlich in eigener Praxis tätig. Daneben ist er noch Belegarzt in der C-Klinik, einer Privatklinik in A.Stadt, und nimmt dort am Bereitschaftsdienst der Klinik teil. Mit Schreiben vom 15. Mai 2019 wies die Beklagte den Kläger auf die Pflichten aus der Bereitschaftsdienstordnung hin und erläuterte die Möglichkeit der Stellung eines Antrages auf einen geringeren ÄBD-Beitrag und der Befreiung von der Teilnahmepflicht. Am 19. Mai 2019 beantragte der Kläger die Befreiung vom ÄBD wegen Überschreitung der Altersgrenze. Dem kam die Beklagte durch Bescheid vom 21. Mai 2019 nach. In diesem Zusammenhang wies sie darauf hin, dass unabhängig von der Befreiung eine Kostenbeteiligung am Ärztlichen Bereitschaftsdienst bestehen bleibe. Dagegen legte der Kläger am 26. Mai 2019 Widerspruch ein, den die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2019 zurückwies.
Dagegen hat der Kläger am 19. August 2019 Klage bei dem Sozialgericht Marburg (S 11 KA 300/19) erhoben. Darin wendet er sich gegen eine Verpflichtung zur Beteiligung an den Kosten gemäß § 8 Abs. 3 der Bereitschaftsdienstordnung (BDO).
Er rügt die fehlende berufsrechtliche Umsetzung der aus § 23 Nr. 2 Hessisches Heilberufegesetz (HessHBerG) folgenden Verpflichtung. Dies wäre nur durch eine gemeinsame Bereitschaftsdienstordnung (BDO) von Landesärztekammer und Beklagter möglich gewesen. Sowohl Berufsordnung (BerO) als auch BDO seien unwirksam, soweit sie Pflichten zu Lasten von Privatärzten begründen sollen. Er hat die Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Verwaltungsgericht beantragt.
Das Sozialgericht hat nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 15. Mai 2020, der Beklagten am 19. Mai 2020 zugestellt, den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Wiesbaden verwiesen.
Die Beklagte vertritt mit ihrer hiergegen gerichteten, am 17. Juni 2020 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangenen Beschwerde die Rechtsauffassung, der Sozialrechtsweg sei eröffnet, da die streitentscheidenden Normen dem Vertragsarztrecht zuzurechnen seien. Die Rechte und Pflichten aus § 23 Nr. 2 HessHBerG würden durch ihre BDO konkretisiert.
Die Klägerin ist der Rechtsauffassung, der Verwaltungsrechtsweg sei eröffnet, da es sich um die Rechtsmaterie des ärztlichen Berufsrechts handele. Keine der Katalogzuständigkeiten des § 51 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei betroffen. Insbesondere handele es sich nicht um eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung. Es gäbe keine Norm, die es der Beklagten gestatte, gegenüber Vertragsärzten Verwaltungsakte zu erlassen. Vorliegend fehle auch eine Umsetzung der Verpflichtung aus § 23 HessHBerG in § 24. in § 23 HessHBerG finde sich auch kein Wort davon, dass die Privatärzte der Regelung- insbesondere Satzungsgewalt der Kassenärztlichen Vereinigung unterworfen würden. Es gebe nicht einmal einen Hinweis, was mit Beteiligung am Bereitschaftsdienst gemeint sei. Die Beklagte gehe zu Unrecht davon aus, dass Privatärzte ihrer Regelungsmacht unterworfen seien. In der Folge sei der Sozialrechtsweg nicht für Ärzte eröffnet, die mit dem Vertragsarztsystem nichts zu tun hätten.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen sowie wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts Wiesbaden (5 K 609/20.WI bzw. des Sozialgerichts Marburg ≪S 11 KA 300/19≫) sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG eröffnet.
Die Abgrenzung von § 51 SGG zu § 40 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vollzieht sich bei der Auslegung des Kataloges des § 51 Abs. 1 SGG aufgrund der Funktion des § 51 SGG als abdrängende Sonderzuweisung. Dabei bestehen keine Bedenken gegen eine weite Auslegung des Begriffs der § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG (Hessisches LSG, Beschluss vom 1. Juni 2010 - L 1 KR 89/10 KL -, juris Rn. 6; auch zum Folgenden: Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 40 Rn. 481 f.). Die verbreitete Auslegungsregel, Ausnahmevorschriften eng auszulegen, kann bei der Auslegung von abdrängenden Sonderzuweisungen erst dann Bedeutung gewinne...